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polar 17: Schuld und Schulden

eBook - Im Minus, polar

Erschienen am 10.09.2014
CHF 19,90
(inkl. MwSt.)

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593425191
Sprache: Deutsch
Umfang: 192 S., 11.55 MB
Auflage: 1. Auflage 2014
E-Book
Format: PDF
DRM: Digitales Wasserzeichen

Beschreibung

Die Finanzkrise, verstanden als Schuldenkrise, hat eine Diskussion über Moral in der Wirtschaft entfacht, entlang der Frage: Wer ist verantwortlich für die Schulden und wer muss sie tragen? Schulden sind weit mehr als bloße finanzielle Verbindlichkeiten. Sie definieren grundlegende Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft und in der internationalen Politik: auf der einen Seite die Gläubiger, auf der anderen die Schuldner. Wer nicht zahlen kann, steht auch sozial tief in der Kreide. Überschuldung fesselt Verbraucher, Gemeinden und Länder. So wird ganzen Nationen angesichts ihrer Staatsschulden eine falsche Lebensweise als Kollektivschuld vorgehalten und das Sparen verordnet. Was lässt sich aus der moralischen Verquickung von Schulden mit Schuld lernen? Das neue Heft von »polar« beleuchtet dieses Verhältnis und damit Verantwortung und Verfehlung in der Finanz- und Wirtschaftspolitik.

Leseprobe

Liebe Leserin, Lieber Leser,die explodierenden Staatsschulden sind im politischen Diskurs schon lange ein Thema. Lagen die Schulden von Bund, Ländern und Gemeinden 1950 in Deutschland noch bei schlappen 9 Milliarden Euro, so standen sie 2013 bei über 2 Billionen Euro. Die öffentlichen Haushalte haben entsprechend hohe Zinslasten zu tragen und sind in ihrer Handlungsfähigkeit massiv eingeschränkt.Zu einem breiten gesellschaftlichen Thema wurden Schulden jedoch erst mit der Finanzkrise seit 2007, in der in mehreren Druckwellen deutlich wurde, wie Finanzmärkte und Finanzordnungen ganze Staaten an den Abgrund führen können. Parallel zu der fiskalischen und ökonomischen Krisengeschichte der letzten Jahre gibt es aber auch eine mentale Krisengeschichte, in der nach den moralischen und psychologischen Implikationen gefragt wird: Wer hat Schuld an den Schulden? Liegt in Schulden überhaupt eine Schuld? Es ist dieser Zusammenhang, der uns interessiert, und den wir zum Anlass nahmen, ein ganzes Heft dazu zu machen.Offenbar gibt es in Deutschland eine besondere Angst vor dem Schuldenmachen - und das nicht nur im Schwäbischen. Was in anderen Sprachen deutlich unterschieden wird (etwa guilt und debt), liegt im deutschsprachigen Raum nah beieinander. Wer nicht zahlen kann, steht auch sozial tief in der Schuld. Wo also fängt die Schuldenmoral an? Wo hört sie auf?Im Eröffnungstext würdigt Mark Schieritz die Bedeutung von Schulden für die moderne Wirtschaft als kreativen Schöpfungsakt. Er widerspricht der gängigen These, dass Schulden für die europäische Krise verantwortlich seien (S. 9). Robert Misik nimmt es in seinem Text gleich mit dem nächsten Missverständnis auf und plädiert für eine höhere Inflation (S. 15). Gerhard Schick beschreibt Schulden im Kern als Versprechen in die Zukunft. Wie im wahren Leben gibt es unterschiedliche Versprechen: es gibt die ernstgemeinten und die mit gekreuzten Fingern auf dem Rücken. Auf dem Markt der Versprechen wurden zu viele Wetten auf die Zukunft mit gekreuzten Fingern gemacht - nun müssen wir die faulen Kredite loswerden (S. 21).Im Rahmen der Finanzkrise mit ihren krachenden Kursen und überhitzten Märkten geht Simon Derpmann dem mysteriösen Verschwinden von Geld auf den Grund (S. 29). Wenn zu viel Geld auf einmal verschwindet, kommt gewöhnlich der Insolvenzverwalter und holt den Taschenrechner raus. Wie moralisch jedoch auch im Insolvenzrecht die Schulden beurteilt werden, beleuchtet Bertram Lomfeld und plädiert für ihre grundsätzliche Entmoralisierung (S. 37). Dieser Aufforderung folgen Hedgefonds schon lange, die Schulden aufkaufen und mit ihnen Geschäfte machen. Ein respektables Geschäftsmodell, und zwar für beide Seiten, findet Christian Kopf (S. 41).Frieder Vogelmann kann dem Kredit weniger Positives abgewinnen und beschreibt den Geldkredit als das entscheidende Instrument, das nachbarschaftliches Geben und Nehmen in quantifizierbare Schuld verwandelt (S. 49). Die seltsame Doppelfunktion als rechtschaffender Sparer einerseits und höriger Verbraucher andererseits, der durch hedonistischen Konsum die Wirtschaft ankurbeln und dem Staat Gutes tun soll, beschreibt Alessandro Somma (S. 55). Was es realpolitisch bedeutet, wenn der Staat sich dieser Doppelfunktion verweigert, in dem er seine Ausgaben durch eine Schuldenbremse vorab beschränkt, wird in vier Beiträgen unter der Rubrik "Ist es links?" kontrovers diskutiert (S. 60).Franz Kafka warnte uns, es gäbe nichts Unsinnigeres als die ernsthafte Verhandlung von Schuldfragen. Trotzdem bricht Joseph Vogl in seinem Interview eine Lanze für die Schulden: Ohne Schuldverhältnisse gäbe es keine tragischen und komischen Helden (S. 73). Stefan Gosepath fragt sich im Anschluss, was wir eigentlich kommenden Generationen schulden (S. 81). Daniel Markovits berichtet, dass sich in den USA die emanzipatorischen Anfänge des Leistungsgedankens in ihr Gegenteil verkehrt haben, in dem sich immer mehr Reichtum in immer weniger Händen konzentriert (S. 89).Woody Allens tragische Helden, die schuldlos schuldig werden, führen Arnd Pollmann zu dem Rätsel, ob Leben heißt, sich unweigerlich schuldig zu machen (S. 101). Noch komplizierter wird die moralische und rechtliche Frage nach Schuld und Verantwortung, wenn wir immer mehr Entscheidungen in unserem Leben der künstlichen Intelligenz überlassen (S. 107). Ob uns das Theater bei diesen Fragen weiterhelfen kann, ist angesichts der von Bernd Stegemann diagnostizierten Selbstlähmung fraglich (S. 119). Ulf Schmidt liefert mit seinem Theaterstück jedoch sogleich einen Gegenbeweis (S. 165).Christina von Braun beschreibt angesichts der theologischen Vermengung von Schuld und Schulden den engen Zusammenhang von Ökonomie und Religion. Das kratzt an der üblichen Unterscheidung, dass die Religion in den Bereich des Transzendenten gehöre, Geld hingegen rational und weltimmanent sei (S. 145). Eigene Perspektiven auf den Zusammenhang von "Schuld und Schulden" finden sich in den künstlerischen Positionen von Nis-Momme Stockmann sowie von Yevgenia Belorusets, Michaela Meise, Dan Perjovchi und Andreas Siekmann.Du hast alles schon gewusst und trotzdem keine Schuld! (Turbostaat)Für die RedaktionPeter Siller, Bertram Lomfeld

Inhalt

InhaltHaltungVerschuldet Euch! 9Schulden als Grundlage der modernen WeltMark SchieritzInflation 15Ein Problem, das wir uns wünschen solltenRobert MisikUmschuldung oder Umverteilung 21Plädoyer für einen geordneten Abbau der hohen GesamtverschuldungGerhard SchickEs ist was es ist 29Geld als soziale RelationSimon DerpmannSchulden ohne Schuld 37Insolvenz als Grenze der FinanzmoralBertram LomfeldMit Schulden handeln 41Ein Fondsmanager sucht nach Alternativen zur AnleiheChristian KopfWir Seelenmacher 49»Unternehmensverantwortung« mit Graeber und NietzscheFrieder VogelmannHedonismus und Askese 55Paradoxien der SchuldenwirtschaftAlessandro SommaIst es links?:>Schuldenbremse< 60Mark Schieritz/Michael Miebach/Florian Kern/Philipp WahnschaffeDer wahre Text:>Staatsschulden< 62Haftung»Schulden sind ein Schöpfungsakt« 73Interview Joseph VoglVage Pflichten 81Was schulden wir zukünftigen Generationen?Stefan GosepathLeistungsgesellschaft und ungleiche Verteilung 89Ein Bericht aus den USADaniel MarkovitsSchuld ohne Sühne 101Woody Allen, Jeremy Bentham und NSA-SkandalArnd PollmannHöchststrafe: Shut-Down? 107Über Schuld beim Einsatz elektronischer AgentenSusanne BeckEmpowerment durch Schulden? 113Mikrokredite als »Wundermittel« gegen Armut im globalen SüdenDorothea WehrmannEin Übermaß an schönen Seelen 119Die Schulden des TheatersBernd StegemannHallo Karthago/Hallo Rom:>Abrechnen können wir danach< 124Susann Neuenfeldt/Simon StrickMein halbes Jahr>Literatur< · Johanna Charlotte Horst 128>Musik< · Johannes von Weizsäcker 130>Film< · Matthias Dell 134HeuEin Brunnen voller Blut 145Die theologische Dimension des GeldesChristina von BraunWas ist Geld? 159Arten, Bedeutung, EntstehungDieter VerbeckMoneytalk 165Letzte Szene aus »Schuld und Scheine«Ulf SchmidtLeben im Kapitalismus:>Knax und Schland< 170Ina KernerBildpolitik:>Schuldenuhr< 172Martin SaarSchönheitenEigentümliche Legierung 175Margaret Atwoods PaybackThomas BiebricherAuch nicht glücklicher 176John Lanchesters Gesellschaftsroman KapitalKerstin CarlstedtNimm es nicht persönlich 177John le Carrés Dame, König, As, SpionChristoph RaiserUnzurechenbar 178Mariana Castillo Deball im Hamburger BahnhofAnna-Chatarina GebbersDie eigene Blödheit 179Rainald Goetz' Johann HoltropJudith KarcherVerwobene Geschichten 181Zum Sammelband Jenseits des EurozentrismusJulia RothDas eigene Gesetz 182Dostojewskis Schuld und SühneUlrich RaiserKassensturz 183Gottfried Kellers Der Grüne HeinrichTilman VogtUnsagbare Qualen 184Svetlana Alexijewitschs Collage Secondhand-ZeitPhilipp WahnschaffeBewusst blind 185Pier Paolo Pasolinis Edipo Re. Bett der GewaltPatrick Thorpolar Edition 186Roundtable 188Autorinnen und Autoren 190Impressum 192

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