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polar 20: Expertokratie

eBook - In Wahrheit, polar

Erschienen am 08.04.2016
CHF 16,90
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593434001
Sprache: Deutsch
Umfang: 192 S., 12.01 MB
Auflage: 1. Auflage 2016
E-Book
Format: PDF
DRM: Digitales Wasserzeichen

Beschreibung

Politik scheint immer mehr eine Sache der Politikberatung zu werden. Kommissionen werden gebildet, Fachbeiräte gegründet. Wissenschaftler und Sachverständige sollen Konzepte liefern und Richtungen vorgeben. Und auch die Bürger selbst verstehen ihr politisches Engagement oft als das von Experten. Während in den früheren Protestbewegungen der Bundesrepublik der Typ des Sozialwissenschaftlers das Bild beherrschte, sind es heute Ingenieure und Naturwissenschaftler. Leben wir in einer Expertokratie? polar 20 fragt nach dem Verhältnis von Politik, Wissenschaft und Wahrheit in unserer Demokratie. Welche politische Rolle spielt wissenschaftliche Beratung, spielen wissenschaftliche Ansprüche auf Wahrheit und Richtigkeit? Und wie können wir der expertokratischen Gefahr begegnen? Denn ist die Wahrheit nicht auch ein Ergebnis im demokratischen Diskurs? Ein Heft zu einer entscheidenden Frage unseres Verständnisses vom Politischen.

Leseprobe

Liebe Leserin, Lieber Leser,die offensiven Wahrheitsansprüche sind in die Gesellschaft zurückgekehrt, ob im Gewand des religiösen Fundamentalismus, des weltanschaulichen Wutbürgers oder auch des politischen Sachzwangs. Der Demokratie fällt die Entgegnung darauf nicht gerade leicht: Ist Demokratie nicht eine Regierungsform, die keine absoluten Wahrheiten verträgt? Entscheidet hier nicht Mehrheit statt Wahrheit? Andererseits: Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit - sind das nicht Wahrheiten, auf die wir angewiesen sind? Und ist eine aufgeklärte Politik nicht permanent auf wissenschaftliche Erkenntnisse angewiesen, wenn sie gelingen soll?Es ist jedenfalls nicht erstaunlich, dass Politik und Staat wissenschaftliche Erkenntnisse in einer immer komplexeren Welt nachfragen und sich die wissenschaftliche Politikberatung zu einem wirkungsmächtigen politischen Faktor entwickelt hat. Aber wie politisch, wie interessengeleitet ist die Wissenschaft selbst? Und was rechtfertigt die politische Berufung auf wissenschaftliche Aussagen?Dabei beruft sich nicht nur die institutionelle Politik auf wissenschaftliche Nachweise, die Bürger der "neuen Protestbewegungen" sehen oftmals "nichts als die Wahrheit" auf ihrer Seite. Befeuert werden sie dabei durch das Netz mit seinen zahlreichen Paralleluniversen, in denen die unterschiedlichen "Wahrheiten", der Hass und das Verschwörungsgefühl gehegt und gepflegt werden.polar stellt in der vorliegenden Ausgabe die elektrisierende Frage nach dem Verhältnis von Demokratie und Wahrheit, von Politik und Wissenschaft. Braucht Politik einen Wahrheitsbegriff? Einen Wahrheitsanspruch? Welche empirischen und normativen Begriffe von Wahrheit gibt es eigentlich? Wir freuen uns über ein Heft zu einem entscheidenden Aspekt unseres Politikverständnisses.Carl Friedrich Gethmann eröffnet das Heft mit einem Plädoyer für die emanzipatorische Wirkung von Wissenschaft für die Gestaltung unserer Gesellschaft (S. 9). Thomas Biebricher beschreibt den aktuellen Hype politischer Technokratie als Phänomen der Krise am Beispiel staatlicher Überschuldung in Europa (S.?15). Hier knüpft unmittelbar Rudolf Speths Kritik am Rückzug der Demokratie in den Schatten der Experten an (S.?21). Angesichts der Flut von Kommissionen und Beratungsgremien, auf die der Bundestag zurückgreift, will Ulrike Meyer im politischen Diskurs die Kategorie der "Wahrheit" lieber durch die der "Werte" ersetzt sehen (S.?27). Im Internetprojekt Wikipedia garantieren ehrenamtliche Autorinnen und Autoren Transparenz, wie Jan Engelmann darlegt (S.?33). Die Entscheidung über wahr und falsch treffen aber längst nicht mehr nur Menschen, sondern auch die algorithmischen Verknüpfungen von Daten. Oliver Lepsius beschreibt die Rolle des Bundesverfassungsgerichts als Garant eines funktionierenden politischen Prozesses, und verweist auf die Gefahr, dass das Gericht die Aufgabe des Gesetzgebers übernimmt (S.?39). Um den Anspruch kritischer Wissenschaftlichkeit geht es im Interview mit der Gender-Forscherin Gabriele Dietze (S.?45). Dagegen untersucht Thomas Hoffmann, wie sich alternative "Wahrheiten" zu Verschwörungstheorien verhärten (S.?51). Hans Peter Peters beendet den ersten Teil mit einem Blick auf den medialen Trend, eigenständigen Wissenschaftsjournalismus durch bloße Expertenbefragungen zu ersetzen (S.?57).Fragen wir nochmals grundsätzlicher nach den Wahrheitsansprüchen der Philosophie und der Kunst. Rainald Goetz führt - zu Beginn des zweiten Teils - die wechselseitige Bedingung von "Spekulation" und "Realität" als literarisches Programm vor (S.?73), Der selbsternannte "Neue Realismus" bedient die uralte Sehnsucht nach der Möglichkeit reiner Wahrheit, etwa Maurizio Ferraris, der sich in seinem philosophischen Manifest explizit von Konstruktivismus und Postmoderne abwendet (S.?80). Für wenig erhellend befindet Annika Bender diesen Ansatz aus kunstkritischer Perspektive (S.?88). Vor der Gefahr, dass Philosophen zu aktuellen politischen Fragen vorschnell "aus der Hüfte schießen", warnt Thomas Schramme (S.?98). Ludger Schwarte reflektiert über die Wahrheit in Bildern und ihre Aussage- und Beweiskraft (S.?107). Michael Eggers beschreibt, wie die Dokumentation als neue Gattung in Kunst und Medien aufstieg und eine neue Verarbeitung der Realität einführte (S.?114). Schließlich widmet sich Achim Geisenhanslüke dem schwierigen Verhältnis von Literatur und Wahrheit (S.?118).Im letzten Teil kommt die institutionelle Politik zurück. Peter Siller reaktualisiert die Parteien als entscheidende Institution der demokratischen Auseinandersetzung um das allgemein Richtige, um die allgemeine Gesetzgebung (S.?146). Entgegen dem Verdruss und der Abkehr bedarf es einer Wiederentdeckung und Selbstvergewisserung dieser elementaren Formation. Michael Koß schließlich beschreibt Krisenphänomene als ganz normale "demokratische Nebenwirkungen" und mahnt dazu, den Parlamentarismus deshalb nicht krank zu reden (S.?162).Manfred Holtfrerich spielt in seinen hyperrealistischen Zeichnungen von Blättern mit der Grenze zwischen Darstellung und Realität (S.?6). Die Bildserie "Hacking the Future and Planet" von Klaus Schafler beleuchtet das Problem wissenschaftlicher Lösungen für die Klimazerstörung (S.?64). Olafur Eliasson dagegen setzt sich in den dokumentierten Objekten seines "Model Room" mit naturwissenschaft­lichen Phänomenen von Licht, Wasser und Luft auseinander (S.?96). Bethan Huws schließlich konfrontiert in ihren "Text-Vitrinen" ein Gedicht von Apollinaire mit Dokumentarbildern aus aktuellen Tierfilmen (S.?136).Für die RedaktionPeter Siller, Bertram Lomfeld

Inhalt

InhaltVermittelnMacht und Befreiung 9Wissenschaftliche Politikberatung in DeutschlandCarl Friedrich GethmannDie Nonchalance der Kommission 15Technokratie in der KriseThomas BiebricherLasst uns nur machen 21Demokratieverlust durch ExpertokratieRudolph SpethPolitik mit Tarnkappe 27Warum Demokratie Werte statt Wahrheit brauchtUlrike MeyerWahrheit ist Arbeit 33Wikipedianer als FehlerfinderJan EngelmannEine Super-Nanny? 39Das Bundesverfassungsgericht als Garant eines funktionierenden politischen ProzessesOliver LepsiusSexualität und Wahrheit 45Interview Gabriele DietzeVerschwörungstheorien 51Wenn aus vernünftiger Sinnstiftung prekärer Nonsense wirdThomas HoffmannZwickmühle des Wissens 57Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im öffentlichen DiskursHans Peter PetersDer wahre Text:>Schlagworte< 62Neue Berliner SprachkritikVermutenSpekulativer Realismus 73Rainald GoetzManifest des neuen Realismus 80Ein AuszugMaurizio FerrarisSpektakulärer Realismus 88Kunstkritische Anmerkungen zum Spekulativen RealismusAnnika BenderWenn Philosophen aus der Hüfte schießen 100Die Untiefen angewandter EthikThomas SchrammeWahrheit in Bildern 107Das Unvordenkliche zeigenLudger SchwarteEcht jetzt. 114Die neue Wirksamkeit der Künste und MedienMichael EggersEin schwieriges Verhältnis 118Über Literatur und WahrheitAchim GeisenhanslükeMein halbes Jahr>Comic< · Peter Siller 124>Musik< · Johannes von Weizsäcker 132>Film< · Matthias Dell 134>Literatur< · Johanna-Charlotte Horst 166VerhandelnDer Streit um das Allgemeine 145Parteien als entscheidende Institution in der demokratischen AuseinandersetzungPeter SillerDemokratische Nebenwirkungen 162Gibt es eine Krise des Parlamentarismus?Michael KoßIst es links?:>Wahrheit< 168Arnd Pollmann/Stefan Huster/Bertram Lomfeld/Peter SillerLeben im Kapitalismus:>Die Sache mit Hitler< 170Ina KernerBildpolitik:>Politik des Wissens< 172Martin SaarSchönheitenLogik und Verbrechen 175Sherlock Holmes im TVLuisa BankiSokratik und Sophistik 176Platons Gorgias-DialogTilman SalomonStimme des Gewissens 177Salvador Allendes letzte RedeFranziska HumphreysImmer der Nase nach 178Die Graphic Novel Quai d'OrsayChristoph RaiserSie waren Humanisten 179Michel Houellebecqs SoumissionPatrick ThorCandy Says 180Thomas Meineckes LookalikesElias KreuzmairInformation Is Power 181Aaron Swartz' The Info NetworkAnn-Charlotte GünzelUmkämpfte Demokratie 183Wendy Browns Schleichende RevolutionJulia RothUnwürdige Performance 184Die Stunde der Dilettanten von Thomas RietzschelKerstin CarlstedtGlühende Bekenntnisse 185Künstlermanifeste als Provokation der WahrheitAnna-Catharina GebbersRoundtable 188Autorinnen und Autoren 190Impressum 192

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