Beschreibung
Der Autor möchte seine Arbeit als Bericht über die Entwicklung einer Idee zu differenzierteren Aussagen für die Beratung von Menschen mit geistiger Behinderung betrachtet wissen. Daher ist die Fragestellung vielfältig: Es wird u. a. der Frage nachgegangen, ob Beratungsangebote bereits existent sind und wie diese organisiert sind. Auch Überlegungen zu Zielen und Motivation einer Beratungsarbeit werden beleuchtet, genauso wie die Frage, ob Beratungen für Menschen mit geistiger Behinderung eine Hilfe sind. Zudem wird kritisch gewürdigt, ob und inwiefern die gesetzten Ziele überhaupt erreicht werden können.
Leseprobe
Textprobe:Kapitel 3. Beratung für Menschen mit geistiger Behinderung kein Thema?:Auch innerhalb der (Sonder-)Pädagogik zeigt sich ein zunehmender Bedarf an Beratungsangeboten (Engel u.a. 1997, 54; Speck 1989, 361), und Beratungsaufgaben gehören immer mehr zum Aufgabenfeld von Mitarbeitern in den verschiedenen sonderpädagogischen Arbeitsfeldern (Hansen 1997, 34). Dies führt dazu, daß neben der didaktisch-unterrichtlichen Kompetenz eine Beratungskompetenz für Sonderpädagogen als wesentliche Voraussetzung eingefordert wird (vgl. Klauß 1998; Kleber 1980, 300; Mutzeck 1997, 9; Speck 1990, 298). Dabei zeigen sich entsprechend dem allgemein sehr breiten Verständnis von Beratung (vgl. Kap. 2) auch hier viele verschiedene Formen und Einsatzbereiche, die im Folgenden näher dargestellt werden sollen. Dem schließt sich die Frage an, inwiefern Menschen mit geistiger Behinderung hier eingebunden werden.3.1 Beratung in sonderpädagogischen Arbeitsfeldern ein Überblick:Obwohl diese Arbeit den geistig behinderten Menschen selbst als Ratsuchenden thematisiert, reicht es nicht aus, nur danach zu fragen, wo Beratungsangebote direkt an ihn gerichtet sind. Vielmehr müssen aus einer systemorientierten Sichtweise heraus auch Beratungsangebote angesprochen werden, die sich an sein Umfeld richten und somit indirekt auch für Menschen mit geistiger Behinderung sein können.3.1.1 Beratung im fachlichen Austausch:Der zunehmende Stellenwert, welcher der Beratung in diesem Bereich zukommt, wird auch durch die vielen Veröffentlichungen innerhalb der letzten Jahre deutlich (vgl. Bönsch 1985; Gemert/ Wielink/ Vriesema 1996; Reuß 1990; Speck 1989; Tiepmar 1993). Dies wird damit erklärt, ...daß sich mit der Veränderung der Inhalte und Organisationsformen der sonderpädagogischen Förderung in allgemeinbildenden Schulen und Sondereinrichtungen sich nicht nur die Kooperations- wie Integrationsformen verändern müssen, sondern sich auch das Anforderungsprofil im Bereich Beratung verändert und erweitert (Engel u.a. 1997, 55).Daraus ergibt sich die Forderung, daß alle in diesem Arbeitsfeld Beteiligten, insbesondere aber die Sonderpädagogen, neben ihrer fachlichen Kompetenz auch in der Lage sein sollten, Beratungsprozesse konstruktiv zu gestalten (ebd., 56), damit Kooperation zwischen den Institutionen und verschiedenen Aufgabenträgern und letztlich auch der Wandel der Sonderpädagogik hinsichtlich des handlungsleitenden Ziels Integration in der Praxis gelingen kann. Damit sind alle Formen der Beratung angesprochen, in denen Mitarbeiter in sonderpädagogischen Arbeitsfeldern unter Einbringung ihrer jeweiligen fachlichen Kompetenz gemeinsam an der Lösung und Bewältigung der verschiedenen Aufgaben und Probleme arbeiten. Eine ausführliche Übersicht dieser Aufgaben legt Bach (1999, 103f.) vor. Sie reichen von allgemeinen Fragen hinsichtlich der Erarbeitung und Ausführung pädagogischer Handlungs- und Förderkonzepte bis zu konkreten (problematischen) Situationen, in denen erhöhter Handlungs- bzw. Interventionsbedarf besteht. Die an der Beratung beteiligten Partner sind dabei überwiegend (vgl. Bach 1999, 104; Hansen 1997, 34) Mitarbeiter der verschiedenen Einrichtungen (Wohneinrichtungen, Schulen, Werkstätten usw.), Experten von außen (z.B. Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter), Behörden, Verwaltungsfachleute, Richter, Träger von Einrichtungen, Verbände und Eltern, Angehörige und Partner behinderter Menschen, z.B. bei Informationsbedarf nach besonderen Hilfsmitteln oder diensten oder in rechtlichen Fragen sowie bei der gemeinsamen Planung und Durchführung pädagogischer Maßnahmen.Dabei werden zunehmend Beratungsformen favorisiert, die nicht expertenorientiert verfahren und methodisch direktiv und ratgebend vorgehen (vgl. Kap. 2.2.1&2.2.3), sondern die die Kompetenzen der beteiligten Personen als gleichwertig und sich ergänzend ansehen (Engel u.a. 1997, 55f.; vgl. Reuß 1990; Zielke 1994, 281f.). Somit kommt auch in einer solchen Fachberatung dem nicht-direktiven Verfahren eine hohe Bedeutung zu (Kap. 2.2.3). Diese Orientierung setzt sich zunehmend auch in Bezug auf Eltern- bzw. Erziehungsberatung durch (vgl. Speck 1989; 1990; Theunissen 1995; Thome 1993; Warnke 1990).3.1.2 Beratung als Unterstützung bei persönlichen Schwierigkeiten:Von der vorgenannten Beratung im Sinne der Bewältigung fachlicher Aufgaben ist diejenige Form der Beratung zu unterscheiden, welche die Beteiligten bei der Lösung bzw. Verarbeitung von persönlichen Schwierigkeiten unterstützen soll. Hierbei geht es um Probleme, die einem höheren emotionalen Beteiligungsgrad der Betroffenen unterliegen (vgl. Kap. 2.6.2). Auch diese Form der Beratung nimmt zunehmend mehr Raum innerhalb der sonderpädagogischen Handlungsfelder ein, obgleich sie nicht immer klar vom fachlichen Austausch getrennt verläuft.Dies betrifft professionelle Mitarbeiter, z.B. wenn Probleme im zwischenmenschlichen Bereich mit Kollegen in Streitgesprächen ausgetragen und als fachliche Meinungsverschiedenheit deklariert werden, insbesondere aber auch beteiligte Eltern und Angehörige, denen es aufgrund ihrer emotionalen Bezüge nicht möglich ist, eine distanziert-professionelle Haltung hinsichtlich der anstehenden Aufgaben, Fragen und Probleme einzunehmen, da diese für sie zumeist personnähere Themen sind (vgl. Kap. 2.6.2). So vermischen sich in der Elternberatung oft reine Informationsfragen mit sehr persönlichen Themen, was eine Problemdiagnose oft schwierig macht und zur Folge haben kann, daß das Gespräch wenig effektiv verläuft und zur Unzufriedenheit auf beiden Seiten führt, wenn der beteiligte Berater nicht über eine entsprechende Beraterkompetenz verfügt (Klauß 1998, 267f.; vgl. auch Görres 1972; Speck 1990, 290ff.).Auch den professionellen Beteiligten des Arbeitsfeldes wird eine Unterstützung bei persönlichen Problemen inzwischen weitestgehend angeboten. Diese erfolgt meist unter dem Begriff der Supervision, die sich an Personen richtet, ...bei denen das professionelle Handeln auf die zwischenmenschlichen Beziehungen bei beratenden, helfenden, pflegenden, lehrenden, menschenführenden Tätigkeiten gerichtet ist. (Mutzeck 1997, 22). Ausgangspunkt und Inhalte sind hierbei (persönliche) Probleme, die sich aus der beruflichen Situation der Ratsuchenden (Supervisanden) ergeben. Das Ziel der Supervision ist ...eine befriedigendere Bewältigung beruflicher Belastungssituationen. (Spiess 1997, 206). Somit versteht sie sich auch als Mittel zur Psychohygiene im Beruf (ebd.) und hat zunehmend an Bedeutung sowohl hinsichtlich der Prävention eines Ausbrennens der körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte bei Mitarbeitern in sonderpädagogischen Berufen (Burnout-Syndrom), wie auch eines reflektierteren und somit besseren und effizienteren pädagogischen Handelns.4.3 Stärkung der Handlungskompetenz:Mit den vorliegenden Ausführungen wurde deutlich, daß Maßnahmen, die auf einen Beitrag zur Psychohygiene, also zur Vermeidung dauerhafter und tiefgreifender seelischer Beeinträchtigungen abzielen, auf verschiedenen Ebenen erfolgen können. Sie können sich direkt auf die Reduzierung der verschiedenen negativen Einflüsse, unter denen eine Person steht, beziehen oder versuchen, diese in ihrer Handlungskompetenz zu stärken, um ihre Schwierigkeiten aus eigener Kraft bewältigen zu können.Auf letztere Ebene zielt Beratung, und damit werden auch die Grenzen dieser Interventionsform deutlich sichtbar. Das Ziel der Beratung liegt darin, Unterstützung und Hilfe bei der individuellen Bewältigung von Problemen zu leisten (vgl. Kap. 2.5) nicht mehr, aber auch nicht weniger. Sie kann Probleme nicht beseitigen oder vermindern, sondern lediglich den Betroffenen (Ratsuchenden) in die Lage versetzen, entweder Veränderungen in seinem eigenen Erleben herbeizuführen, so daß er gewisse Gegebenheiten nicht weiter als problematisch empfindet oder diese Gegebenheiten aus eigener Kraft so zu verändern, daß sie für ihn nicht weiter belastend sind. Die Grenze von Beratung liegt somit in Situationen, in denen beide Formen der Bewältigung nicht möglich sind und daher eine Veränderung belastender Faktoren von außen erforderlich ist. Insofern ist es gerade in bezug auf Beratung für Menschen mit geistiger Behinderung besonders wichtig, zu hinterfragen, inwieweit der Ratsuchende von seinen individuellen spezifischen Möglichkeiten her in der Lage ist, sein Problem mit dieser Hilfe zu bewältigen.Beratung für Menschen mit geistiger Behinderung ist daher keineswegs ein Ersatz für notwendige und anstehende Veränderungen hinsichtlich der Lebensbedingungen, die auch schon seit einigen Jahren mit einem enormen Aufwand vorangetrieben werden werden (Enthospitalisierung etc.), es ist aber im Sinne der Ressourcennutzung zur Vermeidung seelischen Leidens von mindestens ebenso großer Bedeutung.Sicherlich können beratende und psychotherapeutische Angebote nicht die einzige Antwort auf diese Situation sein, die als gesellschaftliches Problem zu betrachten ist. Sehr wohl aber müssen auch geistig behinderten Menschen Möglichkeiten gegeben werden, auch mit Hilfe dieser Angebote, die schließlich alle anderen Menschen bei Bedarf in Anspruch nehmen können, nach Lösungen für Probleme und bei psychischem Leiden zu suchen (Albrecht&Prüser 1999, 367).Es geht darum, Menschen mit geistiger Behinderung bei der ganz individuellen Bewältigung ihres Lebensalltags und den mit ihm auftretenden Schwierigkeiten zu helfen. Dabei stehen aber nicht die Probleme im Mittelpunkt des Interesses, sondern der Ratsuchende mit seinen Bedürfnissen und Interessen, mit seinen Stärken und Schwächen.
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