Beschreibung
Die allgemeinen Umgangsformen drücken sich alltäglich einerseits im Grüßen aus, andererseits im Bitte/danke-sagen. Ihre Selbstverständlichkeit ist bemerkenswert, denn selbst wer unhöflich ist, bricht die Regeln nur, ohne sie grundsätzlich infrage zu stellen - wozu ausgewählte Nietzsche-Aphorismen ab Seite 16 als Handreichung empfohlen seien. Die Sprechakte des Bittens und Dankens sind wunderliche Ausnahmen, wie Marc Hieronimus ab Seite 28 erläutert, und ganz und gar nicht unproblematisch. Darum geht es in dieser Ausgabe auch ums Schenken und Schulden, Benehmen und Vergeben. Max Frisch etwa plagte sich, nachdem ein gönnerhafter Freund ihm das Studium finanziert hatte, mit einer lebenslangen "Dankesschuld" herum, die Wolfgang Schröder ab Seite 20 fragen lässt, wie man für etwas dankt, was man weder erwünscht noch erbeten hat. Der Erzpessimist Cioran sah es als sinnlos an, im Leben um irgendwas zu bitten oder für irgendwas dankbar zu sein. Allerdings hatte er eine idyllische Kindheit in seinem rustikal-rumänischen Geburtsort, in den uns Michael Helming ab Seite 40 mitnimmt. Behandelt wird auch die Frage, was Benimmregeln zugrunde liegt. Wie sich die junge Bourgeoisie ihre Umgangsformen beim Adel abguckte, aber von dessen Menschenbild angewidert war, beschreibt Georg Frost ab Seite 6 an der Debatte um Lord Chesterfields Briefe. Ganz anders die Adab-Literatur der islamischen Welt, die genreübergreifend und mäandernd-erzählend Artigkeit lehrt. Sie fasst das Leben als Geschichte auf, für deren Handlung jeder selbst verantwortlich ist, und was das mit Novalis, Scheler und Derrida zu tun hat, erklärt Osman Hajjar ab Seite 56. Es wird auch ganz praktisch-philosophisch: Wie man es in Literatur und Kulturwissenschaften - ohne Rücksicht auf Verluste - nach der Maxime "Lobst du mich, lob ich dich" zu etwas bringt, ist das Thema von Vasile V. Poenaru ab Seite 30; wie man in Schwaben den kategorischen Imperativ anwendet, wenn dort einer nach der Uhrzeit fragt, erklärt Martin Köhler in seiner Kolume ab Seite 15. Kant wird ja auch in der Griechenland- und der Flüchtlingskrise gern zitiert und falsch verstanden. Timotheus Schneidegger weist ab Seite 48 darauf hin, dass Solidarität mit Flüchtlingen nichts mit Gefühlen, sondern nur mit Vernunft zu tun hat. Ab Seite 38 wundert er sich anlässlich des Pariser Klimagipfels, warum wir aus uralter und neuerer Naturethik (Platon bzw. Otfried Höffe / Angelica Krebs) noch nicht die überfälligen Schlüsse gezogen haben. Zur Entspannung beim harten Fragen sind wieder Kleinigkeiten eingeflochten wie Jonis Hartmanns Ode an die Tüte, Johannes Witeks Verdammung televisionärer Hybris und Bdolfs Propädeutikum sowie zwei Miniaturen ab Seite 54: Familiäre Amtshilfe im Kinderbettchen und Konflikte der Höflichkeitsformen von Künstlern, Mathematikern, Philosophen und Puffgängern. Das Titelthema beschließt Marc Hieronimus mit Erwägungen zum Fest der Liebe (Seite 64): Mehr davon, bitte! Danke. Im hinteren Heftteil wird es politisch: Mirko Stehr verteidigt die Antideutschen gegen den politphänomenologischen Rundumschlag aus dem letzten Heft. Martin Köhler sieht 25 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung Sartres "Geschlossene Gesellschaft" auf nationaler Ebene aufgeführt und Vasile V. Poenaru hat die kanadische Amts- und Paradigmenübergabe von Stephen Harper an Justin Trudeau belauscht. Dazwischen finden sich wieder Kurzrezensionen, Aphorismen und Ultrakurzmärchen sowie das Viehlosovieh: Diesmal beschreibt Stefan Rode die Miesmuschel. Aus Rüdiger Spiegels trotzphilosophischem Merkzettelkasten kommen Überlegungen zu Verallgemeinerung und Hirnfunktionen. Frost und Schneidegger haben die "Kritik der reinen Vernunft" visuell dargestellt, Redaktionspraktikant Filbinger hat für die Reihe "Die unbedeutendsten Denker der Geschichte" den schrankenlosen Verschränker und Kant-Renegaten Johann Schöller ausgegraben. Michael Helming zuletzt war nicht nur in Rumänien, auch in Sizilien unterwegs, suchte dort nach Spuren von Gorgia
Autorenportrait
Die subversive Kraft des Denkens gegen die akademischen und literarischen Blabla-Betriebe rehabilitieren - das ist Aufgabe des Lichtwolf. Im Widerstand gegen die Verzweckung des Daseins stand er von Anfang an im lichten Abseits. Der Lichtwolf wurde im Sommer 2002 aus Übermut und Langeweile im Umfeld der Fachschaft Philosophie der Uni Freiburg gegründet. Der Studentengag wuchs sich im Laufe der Jahre grund- und ziellos zum fröhlichen Wissenschaftsmagazin aus. Im Geiste der Publizistik des fin de siècle erkundet der Lichtwolf vierteljährlich, was im falschen Leben möglich ist. Seine spärliche Leserschaft bestärkt er darin, dass Leben und Denken auf scheinbar verlorenem Posten gut, schön und wahr sein kann. Indem er unermutigt und unerfolgreich (nicht erfolglos!) beharrlich weiter gegen jede ökonomische Vernunft erscheint, widerlegt der Lichtwolf Ausgabe für Ausgabe ihre Allgültigkeit. Pünktlich zu jeder neuen Jahreszeit stellen Herausgeber, Autoren und Illustratoren - Akademiker aus der Unter- und Mittelschicht - über 100 aufgeräumte Seiten mit langen, schweren Texten und wenigen Bildern zusammen. Jede Ausgabe enthält seltene Lesefrüchte und seltsame Themen, aber keine Werbung. Der Lichtwolf nimmt seine Leser und die Philosophie ernst: Er ist anspruchsvoll wie eine Fachzeitschrift und lustig wie ein Punkzine.
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