Beschreibung
Am 8. Mai 2015 jährte sich zum 70. Mal das Ende des Zweiten Weltkriegs. Doch noch immer gibt es Bevölkerungsgruppen, die als "Kollateralschäden" des Krieges aus dem kollektiven Gedächtnis der Nationen schlichtweg herausfallen. Dieser Band thematisiert die Bedingungen und Folgen des Aufwachsens von Kindern des Krieges, insbesondere von Wehrmachts- und Besatzungskindern im Europa der Nachkriegszeit. Er kann aufzeigen, dass bis heute Spuren des Krieges in den Gesellschaften präsent sind, und lenkt den Blick auf die Erforschung von Bewältigungsstrategien.
Autorenportrait
Elke Kleinau ist Professorin für Historische Bildungsforschung am Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften an der Universität Köln. Ingvill C. Mochmann ist Professorin für Internationale Politik an der Cologne Business School und Leiterin des European Data Laboratory for Comparative Social Research beim GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften in Köln.
Leseprobe
Vorwort Mechthild RawertDie Frage nach der eigenen Herkunft und Identität bewegt jeden Menschen. Für viele der Besatzungs- und Wehrmachtskinder bedeutet das, sich ein Leben lang mit den existenziellen Fragen Von wem stamme ich ab? und Wer bin ich? beschäftigen zu müssen. In Deutschland sind zwischen 1945 und 1955 schätzungsweise 250.000 Kinder geboren worden, die eine einheimische Frau zur Mutter und einen Besatzungssoldaten aus den USA, der Sowjetunion, Großbritannien oder Frankreich zum Vater haben. In Österreich betrifft es mindestens 20.000 Kinder. Bei den meisten dieser Besatzungskinder steht in ihrer Geburtsurkunde Vater unbekannt. Ihr Schicksal war häufig mit gravierenden Tabuisierungen in ihrem familiären und sozialen Umfeld verbunden. 70 Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges suchen viele der heute 60- bis 70jährigen Frauen und Männer nach ihren Vätern. Ein noch längeres Schweigen ist keine Lösung mehr. Ihr Schicksal und ihre mit gro-ßen Schwierigkeiten behaftete Suche haben bei der Aufarbeitung der Kriegs- und Nachkriegsgeschichte bisher zu wenig Aufmerksamkeit be-kommen. Doch in unserem kollektiven Gedächtnis sind die Schicksale der Besatzungs- und Wehrmachtskinder kaum präsent. Auch ich bin auf dieses Thema erst spät gestoßen. Deswegen war es mir ein wichtiges Anliegen auf der Kölner Fachtagung Besatzungskinder und Wehrmachtskinder - Auf der Suche nach Identität und Resilienz am 7. und 8. Mai 2015 zu sprechen und zu helfen, das Thema mehr ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Ziel der Tagung war das Aufzeigen der bis heute präsenten Spuren des Krieges in den europäischen Gesellschaften. Wir wissen heute, dass familiäre Geheimnisse auch nachfolgende Generationen prägen. Die Frage, was wir aus der Vergangenheit lernen und wie wir das gewonnene Wissen nutzen können, um die Situation der Kinder des Krieges in heutigen Krisenregionen zu verbessern, ist daher - leider - hochaktuell. Aus den Beiträgen auf der Fachtagung ist nun der Band Kinder des Zweiten Weltkrieges - Stigmatisierung, Ausgrenzung und Bewältigungsstrategien hervorgegangen. Ich danke den Autorinnen und Autoren sehr. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag, die internationale, europäische und deutsche Öffentlichkeit für das Thema Besatzungskinder und Wehrmachtskinder zu sensibilisieren und zu politisieren. Menschenrechtsgeleitete Politik ist im Interesse der lebenden aber auch der nachkommenden Generationen von Nöten. Tief bewegt hat mich die Aussage "Wir Besatzungskinder können Brü-ckenbauerinnen und Brückenbauer sein." Das ist ein wunderbarer Ansporn für uns alle, sich für dieses Handlungsfeld weiter zu engagieren.Mechthild Rawert Mdb I. Einleitung Kinder des Zweiten Weltkrieges: Stigmatisierung, Ausgrenzung und Bewältigungsstrategien Elke Kleinau und Ingvill C. MochmannAm 8. Mai 2015 jährte sich zum 70. Mal das Ende des Zweiten Weltkrie-ges. Zahlreiche Gedenkfeiern und wissenschaftliche Tagungen über die Befreiung Europas vom Nationalsozialismus wurden abgehalten, aber noch immer gibt es Bevölkerungsgruppen, die als sogenannte Kollateral-schäden des Krieges aus dem kollektiven Gedächtnis der Nationen schlichtweg herausfallen. Während und nach jedem Krieg haben Besat-zungssoldaten mit einheimischen Frauen Kinder gezeugt, die sogenannten Kinder des Krieges. Für den Zweiten Weltkrieg gilt das sowohl für Soldaten der deutschen Wehrmacht in den okkupierten Gebieten als auch für Angehörige der alliierten Streitkräfte (sowjetische, britische, amerikanische, französische). Der Terminus Kinder des Krieges ist keineswegs gleichzusetzen mit dem geläufigeren Begriff der Kriegskinder, mit dem in der deutschsprachigen Forschung zumeist die Altersjahrgänge zwischen 1930 und 1945 bezeichnet werden. Für Kinder des Zweiten Weltkrieges existierten in deren sozialem Umfeld eine ganze Reihe abwertender Begriffe wie beispielsweise Tyskerbarn in Norwegen und Dänemark, Ami- oder Russenbankert in Deutschland und Österreich sowie Moeffenkinder in den Niederlanden. Im internationalen Kontext werden diese von ausländischen Soldaten gezeugten und von einheimischen Frauen geborenen Kinder seit 2006 neutraler als children born of war bezeichnet, im Deutschen nicht ganz treffend mit Kinder des Krieges übersetzt (vgl. Mochmann 2006: 198-199). Wenn auch den Schicksalen der Besatzungskinder in Europa im Ver-gleich zu anderen Thematiken des Zweiten Weltkrieges bis jetzt sowohl in der Gesellschaft als auch in der Forschung relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde, so hat doch in den letzten zehn Jahren das Interesse stetig zugenommen, was sich an der steigenden Anzahl neuerschienener wissenschaftlicher Publikationen und autobiografischer Zeugnisse verdeutlichen lässt (vgl. Satjukow/Gries 2015; Stelzl-Marx/Satjukow 2015; Baur-Timmerbrink 2015). Die Lebensumstände und Lebensverläufe der Wehrmachtskinder sind schon seit Mitte der 1990er Jahren in das Blickfeld der Forschung gerückt. Mehrere quantitative und qualitative Untersuchungen zeigen, dass viele Wehrmachtskinder in den Nachkriegsjahren häufig Diskriminierung und Stigmatisierung in der Gesellschaft, im sozialen Nahbereich sowie in der Familie ausgesetzt waren (vgl. Picaper/Norz 2004; Ericsson/Simonsen 2005; Mochmann/Larsen 2008; Diederichs 2005, 2009; Mochmann/Øland 2009; Muth 2008; Drolshagen 2005; Kleinau/Mochmann 2015). Dies reichte von Misshandlungen in der Familie und Schule, Vertuschung und Verleumdung der biologischen Herkunft, Akteneinsichtsverweigerung bis dahin, dass den Müttern die norwegische Staatsbürgerschaft aberkannt wurde und sie mitsamt ihren Kindern ausgewiesen wurden. Nichtdestotrotz zeigen neuere Studien, dass viele Wehrmachtskinder, beispielsweise in Norwegen, sehr wohl eine hohe Lebensqualität haben und eigene Bewältigungsstrategien gefunden haben, die sie nach Bedarf eingesetzt haben (vgl. Miertsch u.a. 2015). Auch wenn es nicht für alle von den Deutschen besetzten Gebiete Untersuchungen zu Wehrmachtskindern gibt, was vor allem die osteuropäischen Staaten betrifft, zeigen doch vorliegende Ergebnisse, dass sich die Lebensumstände für viele Wehrmachtskinder ähnelten. Die genaue Anzahl der Wehrmachts- und Besatzungskinder ist nicht bekannt. Auf der Basis von unterschiedlichen Dokumenten und Quellen sind Schätzungen vorgenommen worden, die jedoch sehr verschieden ausfallen, je nachdem in welchem Land die Kinder geboren wurden und wie sich die Situation zwischen der Besatzungsmacht und den Einheimischen gestaltete. Während in Norwegen allein 8.000 Wehrmachtskinder durch den Lebensborn e.V. registriert wurden, existieren für Wehrmachts-kinder, die im Osten Europas geboren wurden, kaum Nachweise. In der DDR wurden im Interesse der deutsch-sowjetischen Freundschaft nie offiziell Zahlen erhoben, in der Bundesrepublik wurden 1956 lediglich die unter Vormundschaft stehenden unehelichen Besatzungskinder erfasst. Auch wenn die mittels Schätzungen erhobenen Zahlen mit Einschränkungen behaftet sind, zeigen sie doch, dass es sich bei den Kindern des Krieges nicht um eine kleine Gruppe handelt. In Norwegen sollen allein 10.000-12.000 Wehrmachtskinder geboren worden sein, in Dänemark 6.000-8.000, in den Niederlanden 12.000-15.000, in Frankreich bis zu 200.000 (vgl. Mochmann u.a. 2009: 263-282). Es ist davon auszugehen, dass es Wehrmachtskinder in allen okkupierten Ländern gab, von Norwegen bis Nord-Afrika und von Jersey bis in die Sowjetunion. In Deutsch-land und Österreich wurden überall dort Besatzungskinder geboren, wo alliierte Truppen stationiert waren. So ging die einzige offizielle Schätzung für (West-)Deutschland von rund 68.000 Besatzungskindern aus (vgl. Schröder 2009: 179), in Österreich von mindestens 20.000 Kindern, die einen Rotarmisten zum Vater haben (vgl. Stelzl-Marx 2009: 361). Die tat-sächliche Anzahl der Kinder dürfte bedeutend höher sein, da nur die zum Zeitpunkt der Datenerhebung unter Vormundschaft stehenden unehelichen Besatzungskinder erfasst wurden. Kinder, deren Mütter den Vätern als sogenannte war brides in die USA oder nach Großbritannien gefolgt waren, die adoptiert, bereits gestorben, innerhalb bestehender Ehen geboren oder durch eine spätere Heirat der Mutter für ehelich erklärt worden waren, fielen aus der Zählung heraus. Nicht alle Wehrmachts- oder Besatzungskinder entstanden aus einer einvernehmlichen sexuellen Begegnung oder gar einer Liebesbeziehung. Die Grenze zwischen freiwilligen und erzwungenen sexuellen Kontakten zwischen Besatzern und einheimischen Frauen gestaltete sich in allen kriegsteilnehmenden Staaten fließend. Neben flüchtigen sexuellen Begegnungen und wirklichen Liebesbeziehungen existierten auch Überlebens-strategien wie der Tausch von Sex gegen Ware oder Geld. Sexuelle Gewalt wurde wohl von allen kriegführenden Parteien ausgeübt. Für Deutschland gilt, dass - entgegen populären Annahmen in Zeiten des Kalten Krieges - nicht nur Rotarmisten, sondern auch Angehörige der amerikanischen, französischen und britischen Truppen vergewaltigt haben (vgl. Lilly 2007; Gebhardt 2015). Für die Wehrmacht liegen im deutschsprachigen Raum bislang nur eine explizite Untersuchung für die Sowjetunion und eine für das besetzte Polen vor (vgl. Mühlhäuser 2010; Röger 2015). In den genannten Studien werden die prekären Lebenssituationen der vergewaltigten Frauen nachgezeichnet. Die Bedingungen, unter denen die gewaltsam entstandenen Kinder aufwuchsen, werden kaum thematisiert, obgleich beide Themen doch nur schwer voneinander zu trennen sind. In den Anfängen der Forschung konzentrierte sich der Diskurs über Besatzungskinder in Deutschland stark auf die Situation afrodeutscher Besatzungskinder (vgl. Fehrenbach 2005; Lemke Muniz de Faria 2002). Zu fragen ist, ob die Besatzungskinder in der Wahrnehmung der Bevölkerung tatsächlich einen solchen Sonderfall unter den unehelichen Kindern darstellten, oder ob sie das nur wurden, wenn andere Differenzzuschreibungen wie soziale und uneheliche Herkunft, Ethnie, Geschlecht oder Konfession hinzukamen. Ob die Kinder einer Liebesbeziehung, einer flüchtigen sexuellen Begegnung oder einer Vergewaltigung entstammen, muss ebenfalls in die Analyse einbezogen werden, da der gewaltsam erzwungene Sexualverkehr es den meisten Frauen erschwert haben dürfte, eine positive Bindung zu dem unerwünschten Kind aufzubauen. Aber auch enttäuschte Liebe oder gesellschaftliche Diskriminierungen können - wie für Norwegen belegt - zu Problemen in der Mutter-Kind-Beziehung beigetragen haben. Die Analyse der Verflechtungen verschiedener Differenzzuschreibungen erscheint notwendig, damit erfahrene Diskriminierungen, aber auch Unterstützung nicht vorschnell und einseitig auf Rasse, Geschlecht oder nationale Zugehörigkeit zurückgeführt werden. Die in diesem Band versammelten Beiträge gehen auf eine internationale und multidisziplinär zusammengesetzte Fachtagung zurück, die - in Kooperation des Kompetenzfeldes V SINTER (Soziale Ungleichheiten und Interkulturelle Bildung) im Zukunftskonzept der Exzellenzinitiative der Universität zu Köln mit dem EUROLAB am GESIS Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften - am 7./8. Mai in Köln stattfand. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler thematisieren jeweils aus Sicht ihrer Disziplin (Geschichts-, Politik-, Sozial-, Erziehungs- und Literaturwissenschaft sowie Medizin und Psychologie) Bedingungen und Folgen des Aufwachsens von Kindern des Zweiten Weltkrieges. Sie untersuchen strukturelle, institutionelle und individuelle Diskriminierungen von Kindern des Krieges und fokussieren - stärker als es bisher in der Forschung der Fall war - die Frage nach Resilienz. Sie fragen, wie die Kinder ihre widrigen Lebensumstände bewältigten, die einerseits eine gesunde psychische Entwicklung erheblich erschweren konnten, andererseits aber auch gerade in der Auseinander-setzung mit ihnen zur Entwicklung psychischer Widerstandskraft beitragen konnten. Der Zuschnitt des Tagungsthemas auf Bearbeitungs- und Bewältigungsstrategien war von uns als Veranstalterinnen sehr bewusst vorgegeben worden, da mit einer zu starken Fokussierung auf die Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen von Wehrmachts- und Besatzungskindern "mögliche Formen einer langfristig resilienten Verarbeitung aus dem Blick geraten" könnten (Fooken 2013: 91). Abwehr und Ausgrenzung können schmerzhafte Gefühle des Andersseins zur Folge haben, aber sie können auch der Ansporn zur Erringung von Selbstbestimmung sein. Legt man nämlich die Kriterien an, die allgemein für den Erfolg einer Biografie in Anschlag gebracht werden - Schulabschluss, Studium oder Berufsausbildung, eine der Qualifikation entsprechende Berufstätigkeit, Paarbeziehung und Familiengründung - so weisen doch relativ viele der sich jetzt zu Wort meldenden Wehrmachts- und Besatzungskinder eine ausgesprochen erfolgreiche Biografie auf (vgl. Kleinau 2015). Zur Beantwortung dieser Frage nach den Ressourcen, aus denen die Wehrmachts- und Besatzungskinder schöpften, von wem sie im Verlauf von Kindheit und Jugend Unterstützung erfuhren und welche Bedeutung dies für ihre Identitätsentwicklung und Lebenszufriedenheit hatte, kommen unterschiedliche methodische Verfahren zum Einsatz: Akten- und Dokumentenanalyse, qualitativ ausgerichtete biografische Vorgehens-weisen ebenso wie quantitativ-statistische Verfahren. Neben Resilienz, einem Begriff, den es zwischen den Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Wissenschaftsdisziplinen erst einmal zu klären galt, war Identität ein häufig gebrauchter, aber wenig präzisierter Terminus. In Anlehnung an aktuelle sozialpsychologische, sozial- und erziehungswissenschaftliche Definitionen verstehen wir Identität nicht als Wesensmerkmal eines Menschen oder als einen mit der Adoleszenz einmal erreichten Zustand, sondern als einen fortwährenden, lebenslang andauernden Prozess, "[]durch den sich die betreffende Person der Kontinuität und Kohärenz ihrer Lebenspraxis zu vergewissern sucht" (zit. nach Koller 2012: 35). Zur Erklärung, wie sich diese "Übereinstimmung mit sich selbst" (ebd.: 37) vollzieht, rekurriert Koller auf das Konzept der narrativen Identität, das das Erzählen als diejenige Praktik bezeichnet, die Identität erst hervorbringt. Der kommunikative Akt des Erzählens geht dabei "nicht einfach aus der (vermeintlich) unmittelbaren Erfahrung hervor [], sondern folgt kulturellen Mustern, die jene Einheit erst herstellen oder zumindest vorformen, von der eine Erzählung zu berichten vorgibt" (ebd.: 40). Identitäten entstehen im Akt des biografischen Erzählens, durch die nachträgliche Beschreibung vergangener Erlebnisse und Erfahrungen, die von einem bestimmten, gegenwärtigen Bewusstseinsstand aus erfolgen. In jeder Retrospektive verschieben sich die Bewertungen und Bedeutungen von Ereignissen, Wahrnehmungen und Empfindungen; dementsprechend werden andere Lebens- und Wirkungszusammenhänge gedacht und konstruiert als im unmittelbaren Erleben selbst. Im Verlauf seines Lebens erinnert der Mensch immer wieder biografisch entscheidende Erfahrungen, überdenkt sie und deutet seine vorhandenen Erinnerungen aufgrund aktueller Erfahrungen gegebenenfalls neu. In Kapitel II Bedingungen und Folgen des Aufwachsens von Besatzungs- und Wehrmachtskindern aus historiografischer Sicht skizziert Silke Satjukow - mit Rückgriff auf das von ihr und Rainer Gries im Jahr 2014 abgeschlossene Forschungsprojekt Besatzungskinder. Zur Sozial-, Diskurs- und Biographie-geschichte einer in beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften beschwiegenen Gruppe - die Bedingungen des Aufwachsens von Besatzungskindern in der sowjetisch besetzten Zone und der späteren DDR. Die rechtliche Stellung von Mutter und Kind unterschied sich in der DDR deutlich von der im Wes-ten, wo unehelich geborene Kinder mit der Geburt der Aufsicht des Jugendamtes unterstellt wurden. Unverheiratete Mütter waren in der DDR allein verantwortlich für ihre Kinder, sie mussten niemandem gegenüber Rechenschaft ablegen, aber diese vermeintlich aufgeschlossene Haltung hatte auch ihre Schattenseite. Staatliche Unterstützungsleistungen konnten die Frauen nämlich nicht einfordern, da gemäß der sozialistischen Doktrin die Emanzipation der Frauen über ihre Eingliederung in den Produktionsprozess erfolgen sollte. Als Erwerbstätige hatten die Frauen selbst für ihre Kinder zu sorgen, zumal in der DDR ausreichend Betreuungsplätze für Kinder zur Verfügung standen. Einen öffentlichen Diskurs über Besatzungskinder gab es in der DDR im Gegensatz zum Westen nicht. Im Dienste der deutsch-sowjetischen Freundschaft durfte über diese Kinder nicht gesprochen werden, auch und gerade, weil viele von ihnen in den letzten Monaten des Krieges und kurz nach Ende des Krieges durch Vergewaltigungen entstanden waren. In ihrem engeren familialen und gesellschaftlichen Umfeld waren die Kinder aber keineswegs vor Anfeindungen gefeit. Während die amerikanischen, britischen und sowjetischen Militärbehörden in Nachkriegsdeutschland wenig Interesse an den von ihren Sol-daten gezeugten Kindern zeigte, war der französische Staat, das zeigt der Beitrag von Rainer Gries, in den unmittelbaren Nachkriegsjahren aus bevölkerungspolitischen Gründen schwer bemüht, seine Kinder in die Grande Nation heimzuholen. Allerdings legte die Besatzungsmacht Wert darauf, nur die physisch und psychisch nicht beeinträchtigten Kinder in französische Adoptivfamilien zu vermitteln und ihre deutsche Herkunft - bis in die Akten der deutschen Jugendämter hinein - unkenntlich zu machen. Mit Ende des Zweiten Weltkrieges und dem fast nahtlosen Übergang in die Ära des Kalten Krieges bestand für Kinder, die aus Beziehungen zwischen einheimischen Frauen und sowjetischen Soldaten hervorgegangen waren, kaum eine Chance, mit ihrem leiblichen Vater aufzuwachsen. Am Beispiel verschiedener Lebensgeschichten von österreichischen Besatzungskindern arbeitet Barbara Stelzl-Marx heraus, welche Faktoren im familialen oder schulischen Umfeld der Kinder möglicherweise Resilienz befördert haben. Darüber hinaus untersucht sie, inwieweit die Suche nach den unbekannten Vätern für die Betroffenen einem Akt des empowerments gleichkommt und auch die Vernetzung mit anderen Betroffenen zu einer Überwindung von Vereinzelung, Scham- und Schuldgefühlen beitragen kann. Anspruch auf Unterhalt von den Kindsvätern konnten deutsche Frauen in keiner der vier Besatzungszonen erheben. Erst 1952 wurde im Rahmen des Deutschlandvertrages festgelegt, dass deutsche Gerichte Angehörige der alliierten Streitkräfte auf Unterhaltszahlungen verklagen durften, wenn sich die Beklagten in Deutschland aufhielten. Das schränkte die Zahl der erfolgreich scheinenden Klagen von vornherein ein. Die Regelung trat zudem erst 1955 in Kraft und galt nur für Kinder, die nach dem Stichjahr geboren wurden. Da die ersten Besatzungskinder im August 1945 geboren worden waren, und am 5. Mai 1955 mit der Unterzeichnung der Pariser Verträge offiziell die Besatzungszeit endete, konnten die Mütter von Besatzungskindern von dieser Regelung nicht profitieren. Schwierig und zäh war auch der Prozess um Unterhaltszahlungen für norwegische Wehrmachtskinder. Viele erhielten keine Alimente, da der norwegische Staat die Vorschussregelung zur Unterhaltszahlung so gestaltete, dass die meisten Wehrmachtskinder davon ausgeschlossen waren. Gestützt auf die Aktenbestände des Deutschen Instituts für das Vormundschaftswesen legt Simone Tibelius den Fokus auf die in den Anfängen der Bundesrepublik geführten Vaterschaftsanerkennungsverfahren und eingeleiteten Unterhaltszahlungen für norwegische Wehrmachts- und deutsche Besatzungskinder mit US-amerikanischen Väter. Sie geht der Frage nach, ob Vaterschaftsanerkennungen und Unterhaltszahlungen überhaupt in materieller oder psychi-scher Hinsicht eine Ressource für die Kinder darstellen konnten. Der nachfolgende Beitrag von Silke Hackenesch beschäftigt sich mit dem Entstehungskontext der Adoptionen afroamerikanisch-deutscher Besatzungskinder in die USA. Der in Deutschland geführte Diskurs um die Rückführung dieser Kinder in die angestammte Heimat ihrer Väter ist relativ gut aufgearbeitet (vgl. Fehrenbach 2005; Lemke Muniz de Faria 2002), aber die US-amerikanische Diskussion über die brown babies stellte bislang in der deutschsprachigen Forschung ein gravierendes Forschungs-desiderat dar. Die aktive Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft, das Erzählen der eigenen Lebensgeschichte stellt auch für viele aus Deutschland stammende Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner eine wichtige Bewältigungsstrategie dar. In Kapitel III Psychosoziale Lebenslagen von Besatzungs- und Wehrmachts-kindern aus psychologischer und politikwissenschaftlicher Sicht analysieren Marie Kaiser und Heide Glaesmer in ihrem Beitrag Risiko- und Schutzfaktoren beim Aufwachsen als Besatzungskind des Zweiten Weltkrieges auf der Basis einer quantitativen Studie mit 146 Besatzungskindern. Untersucht werden das psychosoziale Befinden, Erfahrungen mit Vorurteilen und die Identitätsentwicklung von Besatzungskindern in Deutschland mit Hilfe bestehender Messinstrumente zu Themen wie psychisches Befinden, Lebenszufriedenheit, Bindungsverhalten und Stigmatisierung sowie spezifische Fragen zu Erfahrungen als Besatzungskind. Andrea Meckel, Ingvill C. Mochmann und Martin Miertsch untersuchen in ihren Beitrag das soziale Vertrauen bei norwegischen Wehrmachtskindern. Auf Basis eines fast identischen Fragebogens zu der deutschen Besatzungskinderstudie werden aus politikwissenschaftlicher Sicht der Zusammenhang zwischen Ablehnung und Resilienz analysiert. Ziel des Beitrags ist es herauszufinden, ob die negativen Erfahrungen von Wehrmachtskindern mit Ablehnung vermittelt über das Selbstwertgefühl das Vertrauen in andere allgemein verringern. Vertrauen ist eine wichtige Grundlage menschlicher Interaktion und die Frage ist, inwieweit das Aufwachsen als Kind des Feindes dieses Vertrauen beeinflusst hat. In Kapitel IV Bedingungen und Folgen des Aufwachsens von Besatzungskindern aus Sicht der Biografieforschung untersuchen Elke Kleinau und Rafaela Schmid die kontrastiven Lebensgeschichten zweier Besatzungskinder, die mittels narrativer Interviews erhoben wurden, und fragen danach, ob das Aufwachsen ohne Eltern per se einen Risikofaktor für Besatzungskinder bedeutet habe. Für die 1946 geborene und bei ihrer Großmutter aufgewachsene Interviewpartnerin hätte sogar die Chance bestanden, als vollständige Familie, mit Mutter, Vater und kleinem Bruder in die USA auszuwandern, was die Autobiografin bis heute nicht als schmerzlichen Verlust empfindet. Der 1955 geborene Interviewpartner wurde als Kleinkind in die Familie seines englischen Vaters aufgenommen, aber statt des in Romanen vorhersehbaren happy ends erwartete den kleinen Jungen ein Martyrium, dem gegenüber die zuvor verbrachte Zeit im Kinderheim als glückliche Zeit erinnert wird. Beide Biografien werfen die Frage auf, wie es diesen Kindern gelang, unter Bedingungen, die von der zeitgenössischen Jugendfürsorge potentiell als gefährdend eingestuft wurden, zu beziehungsfähigen und beruflich erfolgreichen Menschen heranzuwachsen. In dem Beitrag von Azziza B. Malanda über afrodeutsche Heimkinder zeigt sich, wie jemand in der Auseinandersetzung mit der eigenen Lebens-geschichte zu dem Schluss kommen kann, trotz oder gerade aufgrund widriger Lebensumstände an Widerstandkraft gewonnen zu haben. Aus biografietheoretisch-kritischer Sicht resümiert die Autorin, dass es für die Feststellung, welche Resilienzfaktoren jeweils Wirksamkeit erlangen, entscheidend sei, in welcher Lebenssituation über belastende Ereignisse und Erfahrungen gesprochen werde. Auch der Interaktion mit dem Inter-viewer/der Interviewerin komme eine bedeutende Rolle zu, da die-ser/diese durch die Art der Nachfragen suggerieren könne, dass es gelte, eine gute Geschichte zu erzählen. Conny Burian rekonstruiert in ihrem Aufsatz aus literaturwissenschaftlicher Sicht die Autobiografie eines deutsch-amerikanischen Besatzungs-kindes und setzt sich insbesondere mit der literarischen Gattung der Autobiografie kritisch auseinander. Der Text endet mit der glücklichen Zusammenführung von Tochter und lang gesuchtem Vater und produziert damit einen von der Gattung erwartbaren harmonischen, aber doch unrealistischen Schluss, weil kein Vater je dem idealisierten Bild entsprechen kann, dass vaterlose Kinder in ihrer Fantasie von ihm entworfen haben. Die Forschung über Kriegs- und Nachkriegskindheiten hat sich bisher ausgesprochen einseitig auf Kinder der deutschen Mehrheitsgesellschaft konzentriert und die aus der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft ausgegrenzten Kinder und deren prekäre (Über-)Lebenssituation weit-gehend ignoriert (vgl. zuletzt Rosenbaum 2014), weil sie nicht in das Mus-ter des "herrschenden bürgerlich-modernen Kindheitsbildes" (Hiemesch 2014: 321), einer Vorstellung von Kindheit als Schutz- und Schonraum passten. Daher war es uns wichtig, auch Beiträge einzuwerben, die sich nicht mit Besatzungs- oder Wehrmachtskindern, sondern mit anderen zeitgenössischen Kindern oder Kindergruppen auseinandersetzten. In Kapitel V Andere Kindheiten im Krieg und in der Nachkriegszeit setzt sich Daniela Reinhardt mit den Erinnerungen jüdischer Flüchtlingskinder aus-einander, die einzeln, aber auch mit Hilfe organisierter Kindertransporte (vgl. Benz/Curio/Hammel 2003) vor und während des Zweiten Weltkrieges in einer Exilschule in England eine Heimstatt fanden und rückblickend die Bedeutung der Schule für ihren weiteren Lebensweg Revue passieren lassen. Es folgen zwei Beiträge über Kinder, die oft sehr pauschal und undifferenziert als Täterkinder begriffen werden. Die dichotome Zuordnung Täterkind - Opferkind erscheint uns wenig hilfreich: Ebenso wenig, wie Kinder der deutschen Mehrheitsgesellschaft als bloße Täterkinder zu begreifen sind, sind Wehrmachts- und Besatzungskinder ausschließlich als vulnerable Kinder, als passive Opfer zu verstehen. Die Frage nach Bearbeitungs- und Bewältigungsstrategien setzt Kinder als handlungsmächtige Personen, als Akteurinnen und Akteure voraus. Ann-Kristin Kolwes analysiert Eingaben von Kindern deutscher Kriegsgefangener an die Regierung der DDR und fragt danach, welche Bedeutung die Nutzung dieses politischen Instruments für die Kinder hatte. Hermann Baard Borge widmet sich in seinem Aufsatz den Kindern norwegischer Nazi-Parteigänger während und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Sein besonderes Interesse gilt der Frage, welche Bewältigungsstrategien die Kinder der Quislinge im Umgang mit der Sippenhaftung, die an ihnen verübt wurde, entwickelten. Ein knappes Resümee der beiden Herausgeberinnen, was aus der Ge-schichte zu lernen wäre, um gegenwärtigen und zukünftigen Kindern des Krieges bei der Bewältigung prekärer Lebensverhältnisse zu helfen, rundet den vorliegenden Band ab. Auch wenn in den letzten Jahren viel zu children born of war geforscht wurde, so bestehen nach wie vor deutliche Forschungsdesiderate, die je-doch mit Hilfe vergleichbarer Studien angegangen werden könnten. So liegen beispielsweise kaum aussagekräftige Studien zum Erleben der Vaterlosigkeit von Wehrmachts- und Besatzungskindern vor, aber es bietet sich ein Vergleich mit Studien an, die das Phänomen am Beispiel der Kriegskindergeneration erforscht haben. In vielen dieser Studien stehen Äußerungen von Kriegskindern im Mittelpunkt, die den abwesenden - toten oder vermissten - Vater idealisieren. Insbesondere in Westdeutsch-land wurde individuell, aber auch kollektiv "auf ein tradiertes Vaterbild rekurriert und die vollständige Familie mit männlichem Ernährer als Ort der Wärme und Geborgenheit imaginiert" (Seegers 2013: 150), die oftmals mit der Realität wenig gemein hatte. Viele Angehörige der Kriegskindergeneration erlebten ihren aus dem Krieg heimgekehrten Vater als einen zwar physisch anwesenden, "psychisch aber abwesenden und nicht erreichbaren Vater" (Fooken 2013: 87), der psychisch beschädigt durch Fronterfahrungen und/oder die Verstrickung in nationalsozialistische Verbrechen wenig Empathie für seine Familienangehörigen, insbesondere für seine Kinder, aufbrachte. In der Forschung über Kinder ohne Väter dominiert gleichwohl das "Drama der Vaterentbehrung" (Petri 2009). Auch viele Wehrmachts- und Besatzungskinder artikulieren eine Sehnsucht nach dem unbekannten Vater, wobei gerade die Unerreichbarkeit des Vaters Raum für Fantasien und Projektionen schafft, die nie durch einen anwesenden, cholerisch oder ungerecht agierenden Vater enttäuscht werden können. Nur wenige, wie die 1947 in Norddeutschland geborene Annemie W. geben zu Protokoll, dass sie angesichts der "schreienden und prügelnden Väter in der Nachbarschaft" froh gewesen seien, dass ihnen das "erspart geblieben" sei (Transkript des Interviews mit Annemie W. vom 02.04.2014: 7). Insofern stellt sich nicht nur die Frage, was den Wehrmachts- und Besatzungskindern "an potenziellen Chancen und Ressourcen gefehlt haben könnte als auch was ihnen an potenziellen Risiken und Schädigungen möglicherweise erspart geblieben ist" (Fooken 2013: 90). Vielleicht ist die Sehnsucht nach dem unbekannten Vater aber auch ein Ausdruck "sich gleichsam aufschichtender Erfahrungen []. Oftmals fehlte ihnen der Vater und ein Geborgenheit vermittelndes Zuhause sowie ein Stabilität garantierendes weiteres soziales Umfeld" (Stambolis 2013: 131). Erstaunlicherweise bleibt die Geschichte der Mütter in den lebens-geschichtlichen Erinnerungen vieler Besatzungskinder ziemlich blass. Sie werden zumeist beschrieben als tüchtige, hart arbeitende Frauen, die ob ihres unehelichen Kindes vom Feind vielfältige Diffamierungen, Armut und soziale Ausgrenzung zu ertragen hatten. Aber: Vor 1945 scheinen die Mütter, obwohl zumeist erwachsene Frauen, keine Geschichte zu haben. Wie es in fast allen Familien in der Bundesrepublik wie auch der DDR "aus Gründen der Pietät, aber auch gesellschaftlich und familiär nicht erwünscht [war, E.K.], über die politische Orientierung der Ehemänner und Väter und ihre Beteiligung an Morden und Verwüstungen an der Front und in den besetzten Gebieten zu sprechen" (Seegers 2013: 148), so verbleibt auch die mögliche politische Verstrickung der Mütter in nationalsozialistische Gewaltverbrechen im Dunkeln. Dass die ehemaligen Besatzungskinder darüber nicht schreiben oder berichten "[] ist aber nicht nur ein Produkt der jeweiligen familiären und gesellschaftlichen Nicht-Kommunikation, sondern hat auch eine emotionale und kognitive Dimension, an der die Nachkommen selbst beteiligt sind. Es bedarf der emotionalen Bereitschaft, die vorhandenen Andeutungen und Hinweise aufzugreifen und sie nicht zu überhören und zu ignorieren" (Seegers 2013: 149). Viele Wehrmachts- und Besatzungskinder haben sich mittlerweile in Netzwerken, wie Krigsbarnforbundet Lebensborn, Danske Krigsbørns Forening, Norges Krigsbarnforbund, BORN OF WAR, international network, Russenkinder, GI-Traces, Coeur sans Frontière - Herzen ohne Grenzen sowie der Black German Cultural Society und der Black German Heritage and Research Association in den USA zusammengeschlossen, nachdem für sie lange Zeit - biografisch bedingt - andere Fragen, wie Eheschließung, Familiengründung, die Ver-einbarkeit von Beruf und Familie, auf der Tagesordnung standen. Mittler-weile sind die ältesten Wehrmachts- und Besatzungskinder im Rentenalter und damit scheint sich für viele von ihnen die Frage nach ihrer biologischen Herkunft neu zu stellen. Die Netzwerkerinnen und Netzwerker helfen anderen Betroffenen, die auf der Suche nach ihrem Vater sind, - aber auch zunehmend der Generation der Enkelkinder - mit Ratschlägen zu Archiven, Materialien, Netzwerken, Kontaktpersonen, Literatur und sie unterstützen einander gegenseitig sowohl bei positiven wie auch negativen Erfahrungen. Zudem arbeiten viele Vereine mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammen und ermöglichen somit den Zugang zu wichtigen Erkenntnissen über eine Bevölkerungsgruppe, die ansonsten der Wissenschaft weitgehend verschlossen bliebe. Der Austausch in diesen Netzwerken hat für die Betroffenen häufig, darauf weisen gleich mehrere Aufsätze in diesem Band hin, eine psychisch stabilisierende Funktion, die es ihnen ermöglicht, ihre Lebensgeschichte im Nachhinein sinnstiftend zu ordnen und zu interpretieren. Die Adressierung als Wehrmachts- und Besatzungskind durch die Betroffenen-Netzwerke, aber auch durch die Forschung führt aber langfristig zu einer Verfestigung der biografischen Erzählungen in dem Sinne, dass sie die Person ein für alle Mal auf diese Identität festlegt. Daran ist das derzeitige mediale Interesse an den Besatzungskindern nicht ganz unschuldig. Verschiedene Studien haben aufgezeigt, wie biografische Sinnstiftung über die Rezeption medialer Berichterstattung funktioniert (vgl. Seegers 2014). Von der einmal entworfenen Erzählung wird nur in unbedachten Momenten abgewichen. Angesichts dessen, dass es immer schwieriger werden dürfte, Interviewpersonen zu finden, die das erste Mal über ihre Lebensgeschichte sprechen, muss diesen Inkonsistenzen oder Brüchen in den biografischen Erzählungen die besondere Aufmerksamkeit der Forscherinnen und Forscher gelten. Den Herausgeberinnen sei noch eine Anmerkung in eigener Sache erlaubt. Der Austausch mit Forschenden aus verschiedenen Wissenschafts-disziplinen bringt neben überraschend neuen Zugangsweisen und Er-kenntnissen auch einige Probleme mit sich. Wir benutzen, das hatten wir bereits auf der Tagung festgestellt, manchmal dieselben Begriffe - bei-spielsweise Resilienz oder Identität - meinen damit aber etwas Unter-schiedliches. Hier galt es zunächst einmal Klarheit zu schaffen über die zu verwendende Terminologie. Sehr deutlich lässt sich die unterschiedliche wissenschaftliche Herkunft der Autorinnen und Autoren im Umgang mit Begrifflichkeiten wie Rasse und Geschlecht ausmachen. Es existieren verschiedene disziplinär etablierte Schreibweisen, um auf den Konstruktionscharakter dieser Zuschreibungen hinzuweisen. Anfängliche Versuche einer Vereinheitlichung haben wir sehr bald aufgegeben, weil die Verwendung von Sprache eben keine rein formale Entscheidung ist. Sprache bezeichnet nicht einfach einen Gegenstand, sie ist an der Konstruktion des Gegenstandes beteiligt, schafft somit Realitäten. Bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist Sprache zudem eng mit der Herkunft und Verankerung in bestimmten Forschungsfeldern sowie der Orientierung an Theorietraditionen wie gender studies, queer studies, postcolonial studies oder critical whiteness studies verbunden. Wir haben daher die Unterschiedlichkeit der Benennungen belassen, die Autorinnen und Autoren aber gebeten, ihre jeweilige, die nicht eingeweihten Leserinnen und Leser eventuell irritierende Schreibweise, zu erläutern. Zum Schluss möchten wir uns bedanken bei allen, die zum Gelingen der Tagung und des vorliegenden Bandes beigetragen haben. Neben den Autorinnen und Autoren gilt unser besonderer Dank Mechthild Rawert, die mit einem Grußwort die Tagung eröffnet hat und dieses in gekürzter Form für diesen Sammelband zur Verfügung gestellt hat, sowie Einar Bangsund, Winfried Behlau, Monika Diederichs, Marianne Gutmann, Ellinor Preuß und Arne Øland, die sich auf der Podiumsdiskussion unserer Tagung bereitwillig den Fragen nach ihrem Aufwachsen als Wehrmachts- und Besatzungskind gestellt haben. Bei Winfried Behlau und Arne Øland bedanken wir uns zudem für die Organisation der Fotoausstellung über Besatzungs- und Wehrmachtskinder. Die großzügige Förderung von KölnAlumni ermöglichte uns die Aus-richtung der Tagung und SINTER hat zu unserer großen Freude die Übernahme der Druckkosten schnell und unbürokratisch geregelt. Last but not least danken wir Lilli Riettiens, die mit der ihr eigenen Umsicht und Sorgfalt die Druckvorlage erstellte.
Inhalt
Inhalt Vorwort 9 Mechthild Rawert I. Einleitung Kinder des Zweiten Weltkrieges: Stigmatisierung, Ausgrenzung und Bewältigungsstrategien 13 Elke Kleinau und Ingvill C. Mochmann II. Bedingungen und Folgen des Aufwachsens von Besatzungs- und Wehrmachtskindern aus historiografischer Sicht"Kinder des Feindes - Kinder der Freunde". Die Nachkommen sowjetischer Besatzungssoldaten in Deutschland nach 1945 31 Silke Satjukow"Les Enfants d'État - Kinder des Staates": Retour en France? Das Repatriierungsprogramm für die Nachkommen französischer Besatzungssoldaten in Deutschland nach 1945 49 Rainer Gries"Ich bin stolz, ein Besatzungskind zu sein." Ressourcen und Resilienzfaktoren von Nachkommen sowjetischer Soldaten in Österreich 73 Barbara Stelzl-Marx"An die Kindesmutter kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern." Vaterschaftsanerkennung und Unterhaltszahlung als Ressource für Wehrmachts- und Besatzungskinder? 93 Simone Tibelius"I identify primarily as a Black German in America." Race, Bürgerrechte und Adoptionen in den USA der 1950er Jahre 115 Silke Hackenesch III. Psychosoziale Lebenslagen von Besatzungs- und Wehrmachtskindern aus psychologischer und politikwissenschaftlicher Sicht Risiko- und Schutzfaktoren beim Aufwachsen als Besatzungskind des Zweiten Weltkrieges - eine Langzeitperspektive 139 Marie Kaiser und Heide Glaesmer Soziales Vertrauen bei norwegischen Wehrmachtskindern 157 Andrea Meckel, Ingvill C. Mochmann und Martin Miertsch IV. Bedingungen und Folgen des Aufwachsens von Besatzungskindern aus Sicht der Biografieforschung Aufwachsen ohne Eltern - ein Risikofaktor für Besatzungskinder? 187 Elke Kleinau und Rafaela Schmid"Normal müsst ich kaputt sein." Erfahrungen ehemaliger Schwarzer deutscher Heimkinder 207 Azziza B. Malanda Resilienz eines Besatzungskindes: Die Konstruktion einer positiven Identität in Petra Mitchells Neun Briefe, drei Fotos, ein Name 225 Conny Burian V. Andere Kindheiten im Krieg und in der Nachkriegszeit"The only pleasant memories of my Childhood were from Stoatley Rough" Erinnerungen jüdischer Flüchtlingskinder an ihre Schulzeit im englischen Exil 245 Daniela Reinhardt"Lieber Herr Staatspräsident, könnten Sie nicht helfen, daß mein Vati bald nach Hause kommt." Briefe von Kindern deutscher Kriegsgefangener an die Regierung der DDR (1950 - 1955) 265 Ann-Kristin Kolwes Sippenhaftung. Bewältigungsstrategien der Kinder der Quislinge in Norwegen 283 Baard Herman Borge VI. Schluss Kinder des Krieges in Gegenwart und Zukunft - Hilfestellungen und Selbstbemächtigung 301 Ingvill C. Mochmann und Elke Kleinau Autorinnen und Autoren 309
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