Beschreibung
Nachdem im 16. Jahrhundert vermehrt Europäer nach China fuhren, traten die beiden Kulturräume Europa und China stärker in Kontakt zueinander. Die konfuzianische Elite zeigte aber wenig Interesse an Wissen aus und über den anderen Kulturraum. Sie betrachtete ihr Reich der Mitte als zivilisatorisches und kulturelles Zentrum der Welt, das es nicht nötig habe, von anderen Ländern und Kulturen etwas zu lernen. In Europa wurde das Interesse an China und damit auch die Rezeption des Konfuzianismus vor allem durch jesuitische Missionare gefördert. Deren Berichte und Übersetzungen konfuzianischer Werke riefen im 17. und 18. Jahrhundert bei Denkern der Aufklärung eine positive Resonanz hervor. China und der Konfuzianismus wurden sogar zu Vorbildern für Europa stilisiert. Die positive Rezeption änderte sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts mit der Entwicklung der westlichen Moderne, während der China, seine Menschen und seine Kultur als rückständig und minderwertig betrachtet wurden. Die Situation verschärfte sich noch mit dem Aufkommen des europäischen Imperialismus und aggressiven Nationalismus im 19. Jahrhundert. Der Paradigmenwechsel hatte auch Auswirkungen auf die Beurteilung des Konfuzianismus, der eine starke Abwertung und Geringschätzung erfuhr. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts bildete sich schließlich wieder eine positivere Meinung zum Konfuzianismus heraus. Vor allem nach den traumatischen Erfahrungen des Ersten Weltkriegs richteten manche europäische Intellektuelle den Blick nach China und glaubten z.B. im Konfuzianismus bessere Formen der Lebensgestaltung und bessere Lösungen für aktuelle gesellschaftliche und politische Probleme zu finden, als sie der moderne Westen zu bieten hat. Die nun einsetzende positive Rezeption des Konfuzianismus fiel aber in eine Zeit, in der dieser in China selbst immer mehr an Bedeutung und Einfluss verlor.
Autorenportrait
Wolfgang Ommerborn, geboren 1952, Dr. phil., Professor für Sinologie an der Fakultät für Ostasienwissenschaften der Ruhr-Universität Bochum. Forschungsschwerpunkte sind die chinesische Philosophie und politisches Denken in China. Er beschäftigte sich besonders mit dem Neo-Konfuzianismus.
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