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Der leise Suchton des kreisenden Vogels.

Fromm, Walter
Erschienen am 07.04.2023
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783863563769
Sprache: Deutsch
Umfang: 137
Format (T/L/B): 20.0 x 14.0 cm

Beschreibung

Dietfried Zink – poetische Bilanz der vorletzten Stunde Im Spätherbst seines Lebens neigt man dazu, Bilanz zu ziehen. Dazu drängt es einen insbesondere dann, wenn man nach einem aktiven und rechtschaffenen Leben auf der Habenseite beträchtliche Posten zusammenzählen kann, die ein überzeugendes Gesamtbild ergeben. Eine solche Bilanzierung der vorletzten Stunde liegt in diesem Bändchen in Form von Gedichten vor. Mir will scheinen, dass Dietfried Zink ein exemplarischer Fall für ein siebenbürgisches Dichterdasein im ausgehenden 20. Jahrhundert darstellt. Auf der engen deutschen Sprachinsel Rumäniens war Dichten ein Befreiungsakt – sowohl künstlerisch als auch gesellschaftlich. Man konstituierte durch Schreiben seine Identität. Der Identitätsanker waren die deutsche Sprache und die alten wie neuen Regeln der literarischen Formgebung in dieser Sprache. Es ist geradezu paradigmatisch, dass Dietfried Zink Germanistik studierte und Deutschlehrer wurde. Das war für ihn und viele andere der Königsweg zum literarischen Schaffen. Nicht alle Deutschlehrer waren Dichter, aber die meisten Dichter waren Deutschlehrer. Nirgendwo war man besser in einer sicheren Heimat aufgehoben als eben in der Sprachheimat. Sie war damals unser aller rettender Hafen und unser Pfund, mit dem wir frei wuchern konnten. Sie stellte ein Investivkapital dar, das uns von der gesamten Umwelt abhob und unterscheiden half. Diese kulturelle Sprachzugehörigkeit transzendierte unser unfrei-eingepferchtes Leben aus der realen Existenzverortung an der Peripherie Europas in den mitteleuropäischen deutschen Sprach- und Kulturraum und verlieh unserer Existenz ungeahnt weite Horizon- te. Hierzulande ist Dichtung eine freie künstlerische Disziplin der sprachlich-ästhetischen Selbstfindung und Weltaneignung. Seinerzeit, in Siebenbürgen, war es das auch, aber es war gleichzeitig auch deutlich mehr: Es war Selbstbehauptung, manchmal sogar Auflehnung und Subversion. Wer beispielsweise über Natur schrieb, der machte sich bei den Mächtigen unbeliebt, denn er gab deutlich zu erkennen, dass er nicht gewillt war, die Klaviatur des sozialistischen Realismus, des Totschlägers jeglicher Kunst, zu bedienen. Und das konnte zeitweilig sehr ernste Konsequenzen haben. Die vorliegende Lyriksammlung enthält eine Zusammenstellung von Gedichten aus allen Schaffensperioden. Der Titel des Bandes ist eine metaphorisch-programmatische Überhöhung des Inhalts und stammt aus einem der Gedichte: Der leise Suchton des kreisenden Vogels. (Du, S. 84) Die schmale Auswahl umfasst wohl um die sechs Jahrzehnte poetischer Artikulationsversuche. Achtzig Gedichte / Leben in Jahren und Wort / Langsam fließt der Fluss – so das Motto des Gedichtbandes von Dagmar Dusil. Es ist die Zusammenfassung dessen, was Dietfried Zink eigentlich ausmacht: beharrliches Anschreiben gegen die Vergänglich- keit! Dietfried Zink ist wie die meisten Aussiedler „zweiheimisch“ (Hellmut Seiler): Ein Teil der Gedichte sind also in der ersten Heimat Siebenbürgen entstanden, ein anderer Teil wurde nach 1985 in der zweiten Heimat Deutschland zu Papier gebracht. Es läge nahe, in den Gedichten Spuren der unterschiedlichen Zeitläufe zu finden, sozio-historische Bedingtheiten zu entschlüsseln und Regionaltypisches, wenn auch nur als Spurenelement, zu finden. Von all dem ist kaum etwas zu entdecken. Das zeigt mehr als deutlich, dass das stetig umkreiste lyrische Ich zeitlos und ahistorisch konzipiert ist. Es ist ein existenzialistisches Ich, das Lebenssinn und existenzielle Überhöhung ausschließlich in – ich bin versucht zu sagen: klösterlichen – Poetikexerzizien anstatt in konkreter Erdung findet. Jean Paul Sartre bringt in „Les mots“ diese Verschränkung von Leben und Dichtung – in einer ähnlichen sinnstiftenden Syntax wie das berühmte Diktum Descartes „cogito ergo sum“ – auf den Punkt: „Indem ich schrieb, existierte ich.“ Dietfried Zink fühlt sich zu Sartre, einem der Lehrmeister der 1960er Jahre, hingezogen und bekennt sich zu ihm, wie sein Gedicht In mermoriam Jean Paul Sartre deutlich macht (S. 60). Die Auswahl für den Gedichtband ist vielmehr nach ewigen, zeitresistenten Themenfeldern strukturiert: Jahreszeiten, Liebe, Raum und Zeit, Sein. Diese vier Hauptabschnitte der Sammlung werden von kleineren, sozusagen exkursartig eingestreuten Gedichtgruppen durchsetzt: Gedichtproben, In Memoriam, Variationen. Den einzelnen Abschnitten sind Bilder vorangestellt, die wiederum einen gelungenen grafischen Echoraum für die Gedichte ausformen: Natur, Sein und Zeit, Liebe. Alle Gedichte zusammen ergeben bilanzierend das komplexe Gedanken- und Gefühlsuniversum, das gewöhnlich einem Lebenswerk zu eigen ist. Einige Aspekte daraus sollen hier herausgegriffen und kommentiert werden. Die lyrische Hauptchiffre Dietfried Zinks ist die Natur. Natur ist heute nicht mehr selbstreferenziell nur Natur, sondern sie ist das, was angegriffen, beschädigt, schützenswert und im Niedergang und Verschwinden begriffen ist. Die alte symbolische Strahlkraft nach der Formel Natur ist Schöpfung, also auch zutiefst mit allem Menschlichen verbunden, ist passé. Innerhalb der weit gefassten Reflexionskategorie Natur fokussiert Zink wieder und wieder auf den Aspekt der künstlerisch-kulturellen Identitätsfindung im Naturgefü- ge. Naturlyrik baut zwar auf dem Erlebnis der Natur auf, das extrem weit gesteckte Motivfeld kann aber sequenziell eingeengt werden. Von allen möglichen Zugängen zum unendlichen Motivkomplex Natur – sei es affektiv, kosmisch, religiös, sei es lehrhaft sei es als Ausdruck eines pantheistischen Einheitsempfindens oder als romantische Naturschau der Verschmelzung mit der Natur – ist bei Dietfried Zink deutlich die Ichbezogenheit der Naturreflexion maßgeblich. Natur ist Spiegelung innerer Zustände, wobei auch naturmagische Akzentsetzungen der Moderne eingeflochten werden (ähnlich wie etwa bei Bachmann, Loerke oder Eich). Natur ist für Zink ein Spiegelkabinett der symbolischen Wiedergabe des Lebens, sie weist in der poetischen Diktion über sich hinaus auf Bewusstseinszustände, auf Seelenlagen und Empfindungen. Selten interessiert ihn Natur an sich, meist ist es der metaphorische Hinweis des jeweiligen Naturfakts auf das lyrische Ich, der den Autor in seinen Bann schlägt. Natur ist also nicht Selbstzweck, sondern für Zink ist sie Chiffre der Seelenlagen und Wegweisung für die Selbsterkundung. Sie stellt ein fazettenreiches Kaleidoskop der existenziellen Ausformungen des lyrischen Ichs dar. Manchmal wird das in schlicht-kräftige Bilder gegossen, die einfach nur schön sind und nicht den Anspruch erheben, mit schwerer Bedeutungsfracht die Ebene des staunenden Aquarellpinselstrichs zu transzendieren. Zwei Beispiele: In den Baumkronen blattlos tropfendes Schweigen (S. 24) Übersatter Herbst sammelt die letzten Farbtropfen in der großen Blätterschüssel. (S. 27) Im Gedicht Vorübergehend sind Gedanken, Einfälle, Entschlüsse und Vorstellungen des lyrischen Ichs direkt in das Naturgeschehen eingewoben. Die Naturfaktizität ist aber nicht steril-leblos, sondern sie tritt, poetisch sanft anthropomorphisiert, mit sehr lebendig-griffigen Eigenschaften in Erscheinung: Vorübergehend Schweigsamer Schneestaub blinzelt herüber. Drüben schlägt keuchend der Wind an die Wand. Zerstoben in schneidiger Luft. Drähte schütteln den Winter ab, wie du es tust mit Gedanken. Einfälle fallen wie Nebeldecken bei Anbruch des Tages. Entschlüsse schlittern auf gefrorenen Pfützen. Tarnende Vorstellung schleicht heran, wankt herüber. Drüben schlägt keuchend der Wind an die Wand. (S. 17) Der Schneestaub ist schweigsam, der Wind keucht und der Winter wird abgeschüttelt. Das Menschliche an der Natur korrespondiert mit den gleichzeitig ablaufenden Bewusstseinsprozessen. Die Redundanz des immer Gleichen kommt der existenziellen Ausgesetztheit gleich: Drüben schlägt keuchend / der Wind an die Wand – existenzielle Erfahrungen wie Angst, Isolation, Ungewissheit, Tod schlagen durch. Das lyrische Ich weiß aber, dass die bedrohliche Starre nur vorübergehend sein kann – so der Titel des Gedichts. Selbst die meisten Liebesgedichte rekurrieren auf eine Chiffrierung, die auf der Naturfaktizität beruht. Im Gedicht Zeitlose Schleier wird der Realienkatalog von Meer über Grashalm bis Frühling und Aprikosen regelrecht durchdekliniert, als das lyrische Ich die Geschichte einer Liebe (im Präteritum) nacher- zählt: Mit Schaum in den Ohren vergaßen wir beide das Meer und für süße Beeren tauschten wir Tannenschatten ein. Du brachest den Grashalm von meinen Lippen und deine Hand erdrückte gelbe gepflückte Blumen. Ich rollte den Frühling vor dein Tor und bestellte Aprikosen für endlose Abende. (…) (S. 51) Nicht selten beklagt das schöpferische Ich Lebensmüdigkeit, Überdruss, Schmerz: am Grund des Glases sammelt sich ein Rest von Leben manches Mal ist es ein Takt zu viel (S. 44) Die Rezeption der europäischen Moderne und Postmoderne in einem knappen kulturpolitisch liberalen Zeitfenster der 1960er Jahre scheint für den Autor prägend gewesen zu sein. Darauf deuten unter anderem die intertextuellen Bezüge im Gedicht Mein Spiel ist Sein zu Hermann Hesses „Glasperlenspiel“ hin. Mein Spiel ist Sein Ich spielte mit dem Nichts, (weil es mein liebster Spielfreund war) (S. 100 f.) (…) Ich stand still, gelähmt von Glas und Perlen auf schwindelnder Porzelanbrücke mit großen Rissen. Unten gähnte der Ernst. (Ich starrte hinab, es war tief ) (S. 101) Das war damals, als der Existenzialismus, Hermann Hesse und Franz Kafka den einen Einfluss-Meridian der deutschen Literatur Rumäniens beschrieben, dem auch Zink zuzurechnen ist, und Bertolt Brecht den anderen. Die Kategorie Zeit steht im Mittelpunkt des Gedichts Raumlos für Zeit (S. 82). Auffallend ist die vermeintlich science-fiction-mäßige Grundierung – die Bilder deuten auf ein kosmisches, allumfassendes Ganzes hin: auf Erden – wandfrei (also ohne räumliche Begrenzungen), Weltall, Weltenfluss, Dachstuhl der Zeit … Zeit wird erfahren als ein aus Raum geschnitztes / Zeitenschiff, gar als ein – den Menschen schützender?, dem Menschen übergestülpter? – Dachstuhl der Zeit. Die kosmische Dimension von Raum und Zeit ist hermetisch versiegelt und kann nicht durchdrungen werden. Lediglich der Begriff Apex gibt einen Fingerzeig, dass es sich um Zeit ohne Raum handelt, weil die vergehende Zeit sehr wohl, der Raum aber nicht wahrgenommen werden kann. Apex ist nämlich Synonym für ein elektronisches Orientierungs- und Informationssystem für Blinde und Sehbehinderte. Aber selbst das Orientierungssystem ist – enttäuschte Hoffnung? – ein blinder Apex, die Undurchdringlichkeit kann also nicht durchbrochen werden. Aus Raum geschnitztes Zeitenschiff hinübergesegelt zum blinden Apex, getrieben von verkannten Strahlen. Dennoch gibt es für das lch einen Rettungsanker. Am Ende des Gedichts folgt wie so oft der für Dietfried Zink typische Lichtschimmer: wenn der Zeit die Segel fallen, wenn Rund- und Spitzbögen uns tragen können. (S. 82) Was hinter den Rund- und Spitzbögen steht, den weithin bekannten architektonischen Zeichen romanischer und gotischer Sakralbauten, deutet darauf hin, dass das lyrische Ich im Hinübergleiten aus der räumlichen Immanenz zur Transzendenz eine heimatliche Behausung finden kann. Es steht dem Leser frei, die Anspielung im weitesten Sinn als Metapher für eine religiöse Glaubensoption zu deuten oder im engeren Sinn als Evokation des heimatlich verbundenen Stadtkerns von Hermannstadt, wie das Bild Althermannstadts wenige Seiten vor dem Gedicht suggeriert. Eine beliebte Chiffre Zinks ist das Stein-Motiv. Er ist das Passwort für den Zugang zum Bleibenden, zum Festen, zum Unveränderlichen. Der Stein versiegelt, er gibt, was er umschlossen hat, nicht wieder frei. Er verleiht Halt, er überdauert die Zeiten, er ist glaubwürdige Instanz. Der in Stein gemeißelte Weg ist der richtige Lebensweg (S. 71). Der Stein ist das abgründig Tiefe, letztendlich kann er aber in seiner Absolutheit auch eine unüberwindbare Barriere zwischen Mensch und Mensch darstellen: Erkenntnis III Der Stein in des Menschen Brust ist das Blut, das von der Stirne rinnt, ist das Hirn, das die Stirne panzert, ist das Herz, das uns bedroht, ist die Grenze zwischen Mensch und Mensch (S. 109) Im Gedicht Meine Identität (Max Frisch zum 75. Geburtstag) greift das lyrische Ich zeitlich über seinen Tod hinaus und sieht sich dann – mit einem deutlichen Gefühl des Selbstwertes – für die Wenigen, die seine dichterische Gabe zu schätzen wissen, als Denkmal aus Stein. (…) Ich werde sein, Wenn ich die Bühne verlassen habe ein Denkmal aus Stein für jene, die achten meine Gabe. (S. 61) Etwas wie der Wunsch nach Auferstehung scheint im Gedicht Offener Kreis durch. Das lyrische Ich wünscht sich, aus einem Zustand der durchlaufenen Hürden / des schon Leblosen, aus der möglichen Fülle hinausgelockt zu werden in die Täler ferner Bekenntnis, in die umwolkten Gefühlstrümmer, zum reifenden Allein-Sein – nur um wieder zurück zu dürfen / zu einmal / durchlaufenen Hürden. Die erneute Rückkehr zum Anfang in einer Gastrolle soll es ihm ermöglichen, wieder und wieder zu allem nein zu sagen. Die Wiedergeburt ist also nicht ein Neuanfang, sondern eine Wiederholung des Alten. Der offene Kreis schließt sich, aber es ist kein Ja zu vernehmen, das lyrische Ich will nur erneut deutlich hörbar verneinen. Die Umstände sind düster, die Atmosphäre drückend. Deutet diese Negation auf Verdruss und Enttäuschung, auf Desillusionierung und Depression hin? Jedenfalls sind für die Sisyphos-Lebenszyklen kein Ende absehbar, nur ewige Wiederho- lung. Offener Kreis Mich zieht es hinaus in die Täler ferner Bekenntnis, hinaus in die umwolkten Gefühlstrümmer, um wieder zurück zu dürfen zu einmal durchlaufenen Hürden des schon Leblosen, als Gast davorzustehen, um wieder zu allem nein zu sagen. Es reißt mich hinaus aus dieser möglichen Fülle zum tödlichen Wagnis der Wille, hinaus zum reifenden Allein-Sein, um wieder zurückzukommen zum Anfang, als Gast davorzustehen, um nein sagen zu können. (S. 110) Zum Scheitern verdammtes Bemühen, Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein sind die Gefühle, die wieder und wieder den lyrischen Duktus bestimmen. Eine agnostische erkenntnistheoretische Einsicht ist mehrfach anzutreffen: Menschliche Existenz und Weltgeschehen können nicht durchdrungen und rational nicht erkannt werden, die Wirklichkeit ist kryptisch. Sie kann zwar im Gedicht Mein Geheimnis hinterfragt werden, bleibt aber dem „unbehausten“ Menschen – eine der durchschlagenden Denkkategorien der 1960er Jahre – alle Antworten schul- dig. Wie soll ich wen befragen, wenn die Antwort in den Steinen ruht. (S. 102) Einsamkeit, Leere, Tod, aber auch ein zaghafter Hoffnungsschimmer scheinen in manchen Gedichten durch: In mir gähnt die schwarze Leere. Irgendwo in einer Netzmasche meiner Seele löst sich ein Lichtstrahl aus einsamer Nacht. (S. 85) Im Gedicht Überzeugung definiert sich das lyrische Ich dichotomisch – als Ich und als Du. Dem auf Distanz gehaltenen Du wird die alltägliche Erdenschwere angedichtet: Lächerlichkeit, Trostlosigkeit steinerner Alltag und Harmlosigkeit als Schutzschild. Von diesem Erden-Du emanzipiert sich das Ich, es ist ein säkulares und rationales Ich der Vernunft. Die mystifizierende Formulierung trinke den Trunk deutet aber auch darauf hin, dass es wohl mehr eine Wunschvorstellung sein könnte. Überzeugung Du lachst das Lachen der Lächerlichkeit, Du weinst die Tränen der Trostlosigkeit. Du hauchst den Atem des Alltags, der in allen Steinen ruht. Du hältst die Hand der Harmlosigkeit als Schutz über die Weisheit. Ich aber trinke den Trunk der Vernunft.(S. 96) In Nächtlich veränderte Gedichtproben 7. leuchtet ein ums andere Mal die Sehnsucht nach Geborgenheit im kosmischen Ganzen auf: Das Verschmelzen mit dem Ganzen wird heiß ersehnt, ist aber nicht möglich, zwischen existenziellem Endglied und Anfangsglied ist das Individuum ein – gefangenes – Innenglied, völlig außerstande, mit dem Universum zu verschmelzen. Ein Hoffnungsschimmer bleibt erhalten. Wenn Warteblumen blühen, kann die Erkenntnis der Eintracht von lyrischer Mitte (Ich) und universellem Ganzen gelingen. 7. Endglied der hängenden Schatten ist der Türpfosten des zitternden Seins. Ist der Faden der bindenden Rinden. Anfangsglied der Räume und Zeiten ist die Weite der Zudringlichkeit, gemessen an menschlicher Größe. Innenglied sind wir mit dem Nichtwissen der Anfangsleere und der Endfülle, getaucht in flaumiges Zweifelsgeschehen. Warteblumen blühen diesmal auch am Tage der Erkenntnis, der Eintracht von Mitte und Ganzem. (S. 37) Dietfried Zinks Gedichte wenden sich nur selten an ein Du, sie sind überwiegend ans Ich gerichtet, sie sind eine Anabasis (Saint John Perce) ins Innere des Ichs, das beharrlich viele Male eingekreist und befragt wird. Ich – quälende Fragen, Stolpern und Schweben zwischen mir und mir (Interview mit mir selbst [1979], S. 113) Zinks Gedichte sind „ein Sich-vorausschicken zu sich selbst, auf der Suche nach sich selbst … Eine Art Heimkehr“ wie Paul Celan in seiner „Dankrede zum Georg-Büchner-Preis 1960“ den innersten Antrieb des Dichtens treffend beschrieben hat. Der jüngst verstorbene Richard Wagner hat in den 1970er Jahren mit einer superkurzen tautologischen Definition des Dichters unter dem Titel „Porträt eines rumäniendeutschen Lyrikers“ wie so oft ins Schwarze getroffen. Das Gedicht besteht aus zwei Wörtern: er schreibt. Und wahrlich: Der Dichter schreibt … und schreibt … und schreibt … (selbst wenn Wagner noch eine andere Konnotation im Blick hatte). Denn es ist ihm ein inneres Bedürfnis und es ist sein Königsweg zur tief empfundenen Freiheit des Schreibakts! Das ist Dietfried Zink – in all seinen Gedichten –

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