Beschreibung
Einige der mittel- und südosteuropäischen Staaten der EU sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, rechtsstaatliche Prinzipien zu missachten. Insbesondere Ungarn wird beschuldigt, die Wertebasis der Union zu verlassen. Manfred Weber, ehemaliger Spitzenkandidat der EVP, befürwortete, Ungarn das Stimmrecht in der EU zu entziehen. Auch sonst fehlt es nicht an kritischen Stimmen aus Deutschland, und der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn lässt kaum eine Gelegenheit aus, um seine Forderung, "Ungarn aus der EU zu werfen", zu bekräftigen. Diese harsche Kritik hat den Verfasser bewogen, das Verhalten Deutschlands genauer unter die Lupe zu nehmen sowie danach zu schauen, wie es Brüssel mit der Regeltreue hält. Eine Reihe exemplarischer Politikfelder zeigt für Deutschland, dass die Rechte der Parlamente beschnitten werden, dass die Gewaltenteilung zunehmend missachtet wird, dass die föderale Ordnung bedroht ist, und dass nicht zuletzt Freiheitsrechte der Bürger eingeengt werden. Ähnliches gilt für die EU. Dem Subsidiaritätsprinzip wird kaum Beachtung geschenkt. Rechtsregeln und Prinzipien gelten nur für "Schönwetterperioden". Bei Bedarf werden sie weit ausgelegt oder gar gebrochen. Politik und Zivilgesellschaften, die sich im Besitz der höheren Moral wähnen, sind bei diesem Tun mittlerweile zu einer nahezu symbiotischen Gemeinschaft verschmolzen. Der nüchterne Befund belegt, dass sich der Rechtsstaat auf abschüssiger Bahn bewegt. Leider ist zu befürchten, dass die Politik an den wegen der Corona-Epidemie temporär notwendigen und verfassungsrechtlich erlaubten Einschränkungen Gefallen findet und nach Wegen suchen wird, diese - teilweise jedenfalls - dauerhaft beizubehalten. Zum Autor: Prof. em. Dr. habil. Siegfried F. Franke war von 1991 bis 2010 Ordinarius für Wirtschaftspolitik und Öffentliches Recht an der Universität Stuttgart. Von 2012 bis 2015 leitete er den Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik an der Andrássy Universität Budapest. Seither ist er dort als Gastprofessor tätig.