Beschreibung
Namen? Nichts als «Schall und Rauch!» Fausts Worte zu Gretchen aber straft Rumpelstilzchen Lügen, dessen Macht zusammenbricht und der sich vor Wut «entzweireißt», als sein Name bekannt und genannt wird. Hier Goethe, dort die Brüder Grimm: Sie zeigen zwei Einschätzungen des Namens, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Hier die Auffassung, welche die Namen (wie die Sprachen und ihre Bedeutungen überhaupt) als bloß zufällig festgelegte Übereinkunft unter den Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft erachtet dort die Ansicht, dass dem Namen ein von der Natur oder Gott gegebener Wesenskern innewohne, der nicht zur beliebigen Disposition stehe, sondern untrennbar mit seinem Träger verbunden sei. «Buchstab Zauberstab» (Eichendorff) lautete eine Grundidee sowohl in der deutschen Romantik wie in der jüdischen Kabbala. Das Benennen als ursprünglicher biblischer Akt verkörpert das Allermenschlichste, das Allergöttlichste: Im Alten Testament erscheint Adam als erster Namengeber. Der Mensch identifiziert die Welt im Akt des «Benamsens»: «Ha! du bist das Blökende!», lässt Herder den Menschen in seiner Sprachursprungsschrift ausrufen, «weiß, sanft, wollicht». Der «Schall des Blökens» als das unter- und entscheidende Merkmal wird zum «Namen des Schafs»: Schall und Hauch im Benennen markieren das Erkennen und Wiedererkennen. Aber nicht nur epistemisch, sondern auch machtanalytisch erweist sich der Name als ein tragender Grundpfeiler. In der Rede vom «Herrenrecht, Namen zu geben» (Nietzsche), spiegelt sich der Akt der Macht nicht nur im Sinne der Taufe, sondern auch im Sinne der Verfügungsgewalt, die allein schon dadurch entsteht, dass ein Zugriff auf Personen erfolgen kann (von Institutionen, Polizei, Steuerbehörden etc.), wenn sie durch Namen feststellbar sind. Die Autorität von «Rang und Namen» war und ist seit jeher nicht nur in aristokratischen Kreisen von hoher Bedeutsamkeit. Staatliche, juristische und klerikale Institutionen berufen sich legitimatorisch in rituellen performativen Akten auf höhere Instanzen, seis «im Namen des Volkes», seis «im Namen des Vaters ».Künstler und Kämpfer hingegen suchen Reputationsgewinn durch Selbsttaufe (Pseudonym oder nom de guerre), und auch Herrschende jeglicher Couleur bedienten sich dieses Verfahrens. Neben die Überhöhung des eigenen Namens und genealogische Nobilitierung setzten sie als gegensätzliche Strategie die damnatio memoriae die Anonymisierung, die Auslöschung des Namens der Gegner und Widersacher aus dem historischen und kulturellen Gedächtnis. In Zeiten einer transparenten, hell ausgeleuchteten Gesellschaft allerdings treten Namen in die Öffentlichkeit: Institutionen, Medien, Werbung, Social Networks, Internet die Namen flottieren global und präsentieren sich vor aller Augen und Ohren. Rumpelstilzchen hätte heute wohl kaum eine Chance, seinen Namen zu verbergen. Als Ausweg bliebe ihm freilich, sich Fausts Worte zu eigen zu machen: Wo Namen nur Schall und Rauch sind, lässt es sich ebenso gut mit einem Pseudonym leben zumindest im Internet hat Goethe gegen Grimm aufgeholt.
Autorenportrait
HEINZ BUDE geb. 1954, ist Professor für Soziologie in Kassel und leitet den Arbeitsbereich «Die Gesellschaft der Bundesrepublik» am Hamburger Institut für Sozialforschung. 2011 ist erschienen Bildungspanik. Was unsere Gesellschaft spaltet.MORITZ FÖLLMER geb. 1971, ist Associate Professor of Modern History an der Universität Amsterdam. 2013 erscheint Individuality and Modernity in Berlin. Self and Society from Weimar to the Wall.ANDREAS HERZ ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Editionsprojekt Die deutsche Akademie des 17.Jahrhunderts: Fruchtbringende Gesellschaft (16171680), das in Kooperation mit der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel durchgeführt wird.KLAUS KEMPTER geb. 1964, ist Lehrbeauftragter am Historischen Seminar der Universität Heidelberg. 2012 erschien: Joseph Wulf ein Historikerschicksal in Deutschland.ANDREAS B. KILCHER ist Professor für Literatur- und Kulturwissenschaft an der ETH Zürich und Mitglied des Zentrums für Geschichte des Wissens der ETH und Universität Zürich. 2012 erschien Jirí Langer: Die neun Tore. Geheimnisse der Chassidim (Hg.).ALEXANDER KO¦ENINA geb. 1963, ist Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Leibniz-Universität Hannover. 2010 erschien Blitzlichter der Aufklärung.REINHARD MEHRING geb. 1959, lehrt Politikwissenschaft an der PH Heidelberg. 2009 ist erschienen Carl Schmitt. Aufstieg und Fall. Eine Biographie.WERNER PLUMPE geb. 1954, lehrt als Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. 2010 veröffentlichte er Wirtschaftskrisen. Geschichte und Gegenwart.WOLFERT VON RAHDEN ist an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Chefredakteur der Gegenworte. Zuletzt sind erschienen Theorien vom Ursprung der Sprache (Hg. u.a., 2 Bde., 1989, Reprint 2010) und Revolution und Evolution (Forum für interdisziplinäre Begriffsgeschichte, 2012).ULRICH RAULFF geb. 1950, ist Direktor des Deutschen Literaturarchivs Marbach. 2009 erschien Kreis ohne Meister. Stefan Georges Nachleben.FRANZ REITINGER arbeitet als Historiker und Bildwissenschaftler in Salzburg. 2008 erschien Kleiner Atlas amerikanischer Überempfindlichkeiten.MARK SCHWEDA geb. 1975, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Abteilung Ethik und Geschichte der Medizin der Georg-August-Universität Göttingen. 2013 erscheint seine Dissertation über Ritters Philosophie der Moderne.STEFFEN SIEGEL lehrt seit 2009 als Juniorprofessor für Ästhetik des Wissens an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 2009 erschien Tabula. Figuren der Ordnung um 1600.ANDREAS URS SOMMER geb. 1972, lehrt Philosophie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und kommentiert für die Heidelberger Akademie der Wissenschaften die Werke Nietzsches. 2012 ist erschienen Lexikon der imaginären philosophischen Werke.RÜDIGER ZILL geb. 1958, ist wissenschaftlicher Referent am Einstein Forum in Potsdam. 2011 erschien Metapherngeschichten. Perspektiven einer Theorie der Unbegrifflichkeit (Hg. u.a.).
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