Beschreibung
Traditionelle Krankenhaushierarchie und Ökonomisierungsdruck, aber auch Unkenntnis über berufsrechtliche Grundlagen des Arztberufs beeinflussen die Therapiefreiheit des einzelnen Arztes. Die gesetzlich und berufsständisch normierte ärztliche Tätigkeit als freier Beruf erfordert vom einzelnen Arzt, medizinische Entscheidungen nicht einfach zu befolgen, sondern seiner Qualifikation gemäß zu überprüfen. Das Weisungsrecht vorgesetzter Ärzte und die Pflicht nachgeordneter Ärzte, Weisungen zu befolgen, finden ihre Grenzen in den Rechtsnormen, die das Prinzip des freien Berufs setzt. Unkritisches Befolgen von Anweisungen kann auch für nachgeordnete Ärzte straf-, zivil- und berufsrechtliche Folgen haben.Die vorliegende Studie legt dar, in welcher Weise auch der Krankenhausarzt einen freien Beruf ausübt. Weiterhin wird dargelegt, welchen Stellenwert die Therapiefreiheit als Kern dieser Berufsfreiheit für die verschiedenen etablierten Hierarchiestufen des ärztlichen Dienstes hat. Dabei wird aufgezeigt, ob und inwiefern die traditionelle hierarchische Struktur des ärztlichen Dienstes in deutschen Krankenhäusern mit dem Berufsrecht vereinbar ist.
Autorenportrait
Dr. med. Lothar Schott LL.M., geb. 1962, ist seit 1988 klinisch tätig. Nach der Weiterbildung zum Facharzt für Innere Medizin erwarb er Abschlüsse in Intensivmedizin, Kardiologie und Notfallmedizin. Außerdem verfügt der Autor nach Absolvierung eines Aufbaustudiums in Medizinrecht über einen juristischen Masterabschluss. Im Umgang mit z.T. schwerkranken Patienten und ihren Angehörigen sowie bei der Weiterbildung von jüngeren Ärzten beschäftigte er sich zunehmend mit den ethischen und rechtlichen Grenzen der Medizin, insbesondere mit dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten und der Verantwortung des einzelnen Arztes gegenüber Patient und Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund entstand die vorliegende Studie, in welcher geprüft werden sollte, inwieweit der durch Gesetz und Berufsordnung gesicherte Status eines freien Berufs mit der traditionellen Hierarchie im ärztlichen Dienst des Krankenhauses kompatibel ist.
Leseprobe
Textprobe:Kapitel 7.2 Medizinische Standards als Korrelat der erforderlichen Sorgfalt:Nach Laufs müssen drei Grundvoraussetzungen vorliegen, damit das ärztliche Handeln beruflich legitim sein und vor dem Recht bestehen soll: Das Vorliegen einer Indikation zu einer Maßnahme, die Einwilligung des Patienten oder seines Vertreters dazu sowie die fachgerechte und sorgfältige Durchführung. Nicht nur hier, sondern bereits bei Indikationsstellung und Aufklärung, die nach § 630d Abs. 2 BGB Voraussetzung für die Wirksamkeit der Einwilligung ist, haben medizinische Standards gewahrt zu bleiben. Der medizinische Standard ist somit die umgreifende Klammer für die Heilbehandlung. Er schützt den einzelnen Patienten vor Behandlungsfehlern. Und bildet dadurch die Basis für Vertrauen im konkreten Arzt-Patienten-Verhältnis und in den ärztlichen Berufsstand im Allgemeinen. Die Einhaltung medizinischer Standards ist individual- und gemeinnützig. Sie rekurriert damit auf entsprechende berufsrechtliche Normen in BÄO und MBO ebenso wie auf die Ideale der freien Berufe.Der Behandlungsvertrag bindet den Arzt nach § 630a Abs. 2 BGB, die Behandlung grundsätzlich nach den aktuellen allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erbringen. Dem entspricht die Vorschrift gemäß § 11 Abs. 1 MBO, wonach mit Übernahme der Behandlung sich der Arzt dem Patienten gegenüber zur gewissenhaften Versorgung mit geeigneten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden verpflichtet. Nach Ratzel ist diese Norm die berufsrechtliche Ausformung des zivilrechtlichen Grundsatzes in § 276 BGB, wonach der Arzt bei der Behandlung seiner Patienten die im Verkehr erforderliche Sorgfalt zu beachten hat. Unter dieser beruflich gebotenen Sorgfalt ist nicht nur die übliche Sorgfalt zu verstehen, sondern die berufsspezifischen Sorgfaltspflichten. Diese orientieren sich an dem jeweiligen, dem behandelnden Arzt bei zumutbarer Anstrengung zugänglichen und verfügbaren Stand der medizinischen Wissenschaft. So auch der BGH in einer Entscheidung zur ärztlichen Aufklärungspflicht: Der Arzt schuldet seinem Patienten neben einer sorgfältigen Diagnose die Anwendung einer Therapie, die dem jeweiligen Stand der Medizin entspricht.Diese Standards als Maß für die objektiven Sorgfaltsanforderungen zu korrekter Indikationsstellung, Aufklärung und Ausführung der Behandlung begrenzen die Therapiefreiheit. Sie sind nicht eindeutig normiert, sondern sollen den Stand der medizinischen Wissenschaft unter Berücksichtigung der medizinischen Ethik reflektieren. Eine bunte Mischung aus Forschungsergebnissen, Expertenwissen und Lehrmeinungen, publiziert in Originalpublikationen, Übersichtsartikeln und Vorträgen, oder unterrichtet im Hörsaal und am Krankenbett stellt die Vielfalt dar, aus der sich medizinisches Wissen speist. Nicht zu vernachlässigen ist auch, bei aller Gefahr der Subjektivität, die empirische Komponente, also die Summe der Erfahrungen aus eigenen Erfolgen und Fehlern. Medizinische Standards sind dynamisch. Der Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnisse verändert sie fortwährend, so dass überholte Methoden niemals Standard sein können. Es gibt keine Rechtsverordnungen oder Ausführungsbestimmungen zu ärztlichen Behandlungen. Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften haben Gewicht im Entscheidungsprozess, aber keine Rechtsverbindlichkeit. Sie können [] nicht unbesehen als Maßstab für den Standard übernommen werden. Allein aus der Aufnahme einer Behandlungsregel in eine Leitlinie ergibt sich noch nicht, dass eine Behandlungsmaßnahme zu den elementaren medizinischen Standards gehört und ein Unterlassen medizinisch schlechterdings unverständlich ist. In einer Entscheidung aus dem Jahr 2014 bekräftigte der BGH diese rechtliche Einordnung von Leitlinien. Es ist auch gar nicht möglich, der Individualität des Patienten durch allgemeine Vorgaben zur Therapie gerecht zu werden. Die vom Gemeinsamen Bundesausschuss erlassenen Richtlinien als untergesetzliche Norm im Rahmen des SGB V binden zwar den Arzt bei der Versorgung sozialrechtlich und bilden wegen des hohen Anteils sozialversicherter Menschen in realiter eine gewisse Beschränkung der Therapiefreiheit. Nicht jedoch formal, weil es sich hier nur um Limitierungen der Kassenleistungen handelt, und nicht um ein Verbot, bestimmte Behandlungsformen anzuwenden.Der Inhalt der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt wird auf der Ebene des Tatbestands im Zivil- wie im Strafrecht nach objektiv-typisierenden Maßstäben bemessen. Dennoch bleibt der medizinische Standard zu diffus, als dass er als Tatbestandmerkmal festgemacht werden könnte. Nicht nur, weil er sich in fortwährender Entwicklung befindet, sondern auch wegen schwieriger Grenzziehungen. Unstrittig ist zwar, dass die Therapiefreiheit dort endet, wo die Überlegenheit eines anderen Verfahrens allgemein anerkannt ist. Gleichwohl müssen Heilversuche als Methoden außerhalb des bisherigen Standards erlaubt bleiben, wenn nach sorgfältiger Abwägung sonst nicht zu erreichende Therapieerfolge unter vertretbaren Risiken zu erwarten sind. Mehr noch ins Gewicht fallen Differenzierungen des Sorgfaltsmaßstabs, die sich auf die Umstände ärztlichen Handelns beziehen. So werden beim Notfall andere Standards zu setzen sein als in elektiven Situationen. Auch führen die logistischen Möglichkeiten einer Allgemeinarztpraxis zu anderen Standarderwartungen als jene einer Krankenhausnotaufnahme. Entsprechendes gilt für Kliniken verschiedener Versorgungsstufen. Dabei relativiert der BGH am Beispiel der Versorgung eines Polytraumas in einem Kreiskrankenhaus die Objektivität des Standards ein wenig, wonach personelle, räumliche und apparative Behandlungsbedingungen zu berücksichtigen sind. So sehr die Sorgfaltspflichten an den faktisch erreichbaren Gegebenheiten auszurichten sind, muss jedoch stets ein zwar nicht optimaler, aber noch ausreichender medizinischer Standard erreicht werden []. Andererseits verfügt ein Arzt über den zu fordernden Standard hinaus über medizinische Spezialkenntnisse, dann hat er sie auch zugunsten seines Patienten einzusetzen.
Informationen zu E-Books
Individuelle Erläuterung zu E-Books