Beschreibung
In Leipzig zeugen heute nur noch wenige erhaltene Fabrikgebäude vom einstigen Ruhm der Stadt als Weltzentrum der industriellen Musikautomaten-Produktion. Doch zwischen 1880 und 1930 pulsierte das werktätige Leben in insgesamt 100 Fabriken und Werkstätten, und klingende Standuhren, Leierkästen, Spieldosen oder automatische Klaviere aus Leipzig galten weltweit als erstrebenswerte Anschaffung, die zum Mobiliar eines gutbürgerlichen Wohnzimmers, in die Kinderstube und zur Ausstattung einer Gaststätte gehörte. Am Beginn dieser bemerkenswerten Blütezeit stand die Erfindung eines hiesigen Klavierbauers: Paul Ehrlich erhielt 1882 das Patentrecht für sein Ariston, eine kleine Harmonika zum Kurbeln mit leicht auswechselbaren, billigen Lochplatten aus Pressspan. Ohne es zu ahnen, begründete er in Leipzig einen neuen Industriezweig: die massenhafte Musikautomaten-Produktion mit leicht auswechselbaren Lochplatten und Notenrollen. Anlässlich des Jahres der Industriekultur in Sachsen trafen sich zahlreiche in- und ausländische Experten im August 2020 an einem der originalen Schauplätze, nämlich direkt in den ehemaligen Symphonion-Werken in Leipzig-Gohlis, um über das Phänomen des Leipziger Musikautomatenbaus zu diskutieren. Im vorliegenden Buch sind nunmehr wichtige Ergebnisse zusammengefasst und zum Nachlesen aufbereitet. Neben kulturellen Hintergründen, der stadtgeschichtlichen Einordnung, juristischen Fragen (wie den endlosen Patentstreitigkeiten), der Zuordnung der verschiedenen Ariston-Modelle und der zugehörigen Platten sowie Fragen der aktuellen Digitalisierung und Archivierung der Automatenklänge widmen sich mehrere Beiträge Paul Ehrlich: seinen Produktionsstätten, seinen zahlreichen Erfindungen und Musikinstrumenten, aber auch ihm als Privatperson und seiner besonderen Persönlichkeit. Mit Akribie spürten Ehrlichs Urenkel Karin Gauselmann und Achim Quaas sowie Monika Hirsch, deren Stammbaum auf eine Schwester Ehrlichs zurückführt, eine Fülle von Details aus dem Leben und Wirken des berühmten Vorfahren auf und stellten umfangreiches Fotomaterial zur Verfügung. So zeichnet das Buch auch ein umfassendes Bild vom Privatmann Paul Ehrlich, der als treu sorgender Familienmensch bis zu seinem Tode versuchte, durch immer wieder neue Patente den Lebensunterhalt zu sichern.
Autorenportrait
Die Musikwissenschaftlerin Birgit Heise war von 1993 bis 2017 im Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig als Kustodin tätig, bevor sie an das Musikwissenschaftliche Institut derselben Universität wechselte. Mit mehreren eigenen Sonderausstellungen (z. B. zum Instrumentarium Richard Wagners, 2013, zum Leipziger Musikautomatenbau, 2015, mit zugehörigem Buch "Leipzigs klingende Möbel") sowie mit zahlreichen Fachpublikationen, Vorträgen und Gesprächskonzerten tat sie sich als profunde Kennerin auf den Gebieten der Instrumentenkunde und regionalen Musikgeschichte hervor. Sie ist Mitglied der Kommission für Kunstgeschichte, Literatur- und Musikwissenschaft der Sächsischen Akademie der Wissenschaften sowie des wissenschaftlichen Beirats der Gesellschaft für Selbstspielende Musikinstrumente e.V.