Beschreibung
Die Bedeutung von Erdöl als Energieträger stützt wie kaum eine andere Ressource die Grundstruktur unserer modernen Gesellschaft. Dennoch wird die Zukunft des Systems der globalen Erdölversorgung stark diskutiert. Gegenwärtig stehen dabei die unkonventionellen Erdöle im Vordergrund. Von ihrer Erschließung verspricht man sich die Etablierung neuer Lagerstätten. Sie werden als neue und systemverändernde Variablen in die Diskussion eingebracht.In der vorliegenden Arbeit wird ihr Potential für die zukünftige Entwicklung der Erdölversorgung hin kritisch untersucht. Als Grundperspektive dient die warnende wachstumskritische Position des Berichts des Club of Rome von 1972, welcher einen massiven inneren Systemkonflikt der Weltwirtschaft prophezeite. Unter den Eindrücken dieses Forschungsberichts wird eine Analyse erstellt, die der Bedeutung der unkonventionellen Erdöle als Ausdruck technologischer Lösungen auf den Grund geht. Analog soll folgende Fragestellung als Leitfrage zur Behandlung des Themenkomplexes dienen: Welche Rolle spielen unkonventionelle Erdöle bei der zukünftigen Erdölversorgung?Die Fragestellung umfasst ein breites Spektrum möglicher Ansatzpunkte: So ergibt sich die Frage, welche Veränderungen bei der Betrachtung einer zukünftigen Erdölversorgung als Ganzes wichtig sind, insbesondere die Verschiebung der Nachfrage durch Veränderungen der ökonomischen Gesamtzusammenhänge betreffend. Eine Zunahme der Nachfrage stellt unweigerlich Bezüge zur Entwicklung des Angebots her. Wenn man davon ausgeht, dass unkonventionelle Erdöle in den Kanon der Förderquellen aufgenommen werden, ist es interessant zu eruieren, welche Konsequenzen sich aus einer stärkeren Fokussierung auf sie ergeben. Dazu zählen immanente Folgen wie ökologische Aspekte, als auch geopolitische Auswirkungen und Veränderungen der Handelsströme von Erdöl. Der Frage nach einflussreichen Akteuren wird ebenfalls nachgegangen. Dabei wird stets die räumliche Komponente im Auge behalten. Es wird herausgearbeitet, welche Weltregionen zukünftig in den Vordergrund treten und welche lokalen und überregionalen Entwicklungen den Ausbau der Produktion unkonventioneller Erdöle begünstigen.
Leseprobe
Textprobe:Kapitel 4.2, Ölsande am Beispiel Kanada:Nicht nur die unkonventionellen Erdöle als Ganzes, auch die einzelnen Untergruppen sind nicht eindeutig eingefasst. Die BGR (2013a: 41) definiert Erdöl aus Ölsand als "in Ölsand gebundenes Bitumen". Laut BABIES (2003: 1) ist Ölsand ein Gemisch aus Bitumen, Sanden und Tonen. BJØRLYKKE (2010d: 459) hingegen wird konkreter und beschreibt Ölsand als "sandstone reservoirs which have been filled with oil at shallow depth<2 km (<70-80°C) so that the oil has become biodegraded". Die in Kapitel 2.2 beschriebene Biodegradation spielt hierbei die Hauptrolle. Die Abgrenzung zu Schwerölen ist dabei nicht eindeutig, da viele Ähnlichkeiten bestehen. Kanadische Ölsande ebenso wie venezolanisches Schwer(st)öl sind sozusagen überentwickelte Erdöle, deren "Genese ["] umgekehrt" werden muss unter Verwendung technischer Aufbereitungsweisen (BUKOLD 2009b: 39). Ihre Verarbeitung erfolgt weltweit gesehen bislang nur in Kanada und Venezuela (DERA 2011c: 18).Laut GERLOFF (2008: 43) kommen Ölsande in vielen Ländern der Welt vor, in Kanada befindet sich jedoch die bedeutendste Fundstätte mit ca. 80% (Stand: 2006) der weltweiten Bitumenvorräte in Ölsanden. Auch in der Republik Kongo und auf Madagaskar gibt es große Ölsandvorkommen (BJØRLYKKE 2010d: 462). SANDREA (2012: 4) führt neben den beiden Ländern noch Nigeria an, ohne jedoch die Höhe der Vorkommen zu beziffern. Die BGR schreibt, dass Ölsandvorkommen aus insgesamt 70 Ländern bekannt seien (BABIES 2003: 1).Da sich jedoch die kanadischen Vorkommen quantitativ von allen anderen abheben, sollen sie im Folgenden näher betrachtet werden.4.2.1, Höhe und Verortung der kanadischen Ölsandvorkommen:Es ist gar nicht so leicht, die Höhe der Ölsandvorkommen genau zu beziffern. Man weiß, dass die größten bekannten Vorkommen in Kanada liegen, über deren genaue Ausmaße ist man sich jedoch nicht einig.Seit 2003 verbucht Kanada erstmals seine Erdölreserven mit ca. 173 Mrd. bbl, so dass es sich in der Weltrangliste der Länder mit den höchsten Reserven an zweiter Stelle direkt hinter Saudi-Arabien platzierte (Le Monde diplomatique 2013: 1). Im BP Statistical Review of World Energy 2011 gab man sich etwas vorsichtiger, dort wurden die Reserven an kanadischen Ölsanden lediglich mit 143,1 Mrd. bbl (Stand: 2010) taxiert (BP 2011: 6). Im Folgejahr lagen sie hingegen schon bei 169,2 Mrd. bbl (Stand: 2011) (BP 2012: 6). Im aktuellen Bericht geht man von 167,8 Mrd. bbl (Stand: 2012) Ölsand-Reserven aus (BP 2013: 6).Die IEA (2013b: 446) schreibt in ihrem World Energy Outlook 2013, dass Kanada über 1.845 Mrd. bbl Ölsand (OIP) verfügt, von denen 800 Mrd. bbl förderbar seien. Nicht ganz so optimistisch äußert sich die BGR. Ihre Zahlen weichen deutlich nach unten ab. So taxieren die Forscher der BGR (2013a: 60) die kanadischen Ölsandressourcen für 2012 auf 50.000 Mio. t, also ca. 367,5 Mrd. bbl (bei einem weltweiten Ölsandressourcenstand von 62.516 Mio. t, bzw. 459,5 Mrd. bbl ). Die Ölsandreserven betrugen 2012 hingegen 26.686 Mio. t, also ca. 196,1 Mrd. bbl (BGR 2013a: 61). Laut BJØRLYKKE (2010d: 461) beläuft sich die Höhe der mit derzeitiger Technologie (Stand: 2010) wirtschaftlich ausbeutbaren Vorkommen an Rohöl aus Ölsand auf 173 Mrd. bbl - etwa einem Zehntel der Gesamtmenge des OIP (sowohl nach BJØRLYKKE also auch der IEA).Es lässt sich also festhalten, dass sich die Reservenschätzungen zurzeit zwischen 167-800 Mrd. bbl bewegen. Man kann erkennen, dass die Zahlen alle deutlich voneinander abweichen. Ob von 367,5 oder 1.845 Mrd. bbl Ölsandressourcen ausgegangen wird - vergleicht man die Höhe mit der Menge der weltweiten konventionellen Erdölressourcen von 161.052 Mio. t, bzw. 1.183,7Mrd. bbl (BGR 2013a: 60), so wird im Verhältnis deutlich, dass es sich trotzdem um gigantische Summen handelt, welche Zahlen am Ende auch realistisch sein sollten.Laut GERLOFF (2008: 44) sind die Ölsandreviere v.a. in der Provinz Alberta lokalisiert, wo sie in drei Sektionen aufgeteilt werden: Athabasca, Peace River und Cold Lake - verteilt auf ca. 150.000 km2. Die Produktion der Ölsande in Athabasca begann im Jahr 1967 (GERLOFF 2008: 44). Die ersten Förderanlagen für Erdöl aus Ölsand wurden 1967 in Betrieb genommen, woraus für etwa dreißig Jahre das "teuerste Öl der Welt" produziert wurde (Le Monde diplomatique 2013: 1). Erst Ende 1990 arbeitete die kanadische Ölsandproduktion zum ersten Mal rentabel, was auf den technologischen Fortschritt und einen höheren Ölpreis zurückzuführen ist (Le Monde diplomatique 2013: 1). COPINSCHI (2012: 124) schreibt im Jahr 2012, dass die Produktionskosten bei ca. 30 US-Dollar lagen: "Le coût total de production du pétrole issu des sables bitumineux s"élève à plus de 30 dollars par baril, soit dix fois plus qu"un baril de pétrole conventionnel produit au Moyen-Orient." Dabei ist das Verhältnis gegenüber dem zu ca. zwei US-Dollar produzierbaren Öl aus dem Mittleren Osten herausragend hoch (siehe auch Kapitel 3.4.2). NÖTZOLD (2011: 165) hingegen spricht von einem Ölpreis von mindestens 45-55 US-Dollar, laut LESCHUS (2013: 1) muss sogar mindestens ein Ölpreis von 60 US-Dollar gegeben sein, damit die Förderung wirtschaftlich ist.Die Gesamterdölförderung in Kanada betrug laut BGR (2013a: 62) im Jahr 2012 etwa 179,2 Mio. t, was ca. 3,6 mb/d entspricht. Ölsande machen gut die Hälfte davon aus.Dabei verzeichnet die Ölsandproduktion erstaunliche Steigerungsraten. Zwischen 2000-2007 hat sich die Produktion bereits auf 1,25 mb/d verdoppelt (BUKOLD 2009b: 45). MILLINGTON et al. (2012: 102) geben für 2010 eine Produktionsrate an Ölsanden von 1,5 mb/d an. Laut HONARVAR et al. (2011b: 9) liegt der Output bei kanadischen Ölsanden 2011 bei 1,7 mb/d. MILLINGTON und MURILLO (2013: 45) schätzen die Produktionsrate für 2012 sogar auf 1,9 mb/d. Mit dem Amtsantritt von Ministerpräsident Stephan Harper beschloss Kanada die Produktion von kanadischem Ölsand auf 5 mb/d zu erhöhen und bis 2025 ein Fünftel des US-amerikanischen Bedarfs an Erdöl zu befriedigen (Le Monde diplomatique 2013: 1). CO-PINSCHI (2012: 123) schreibt dazu:"Environ la moitié des 3,5 millions de barils par jour produits par le Canada sont issus des sables bitumineux. Cette production pourrait monter à 3 millions en 2020 et à plus de 5 millions en 2030 selon certaines prévisions".Auch nach COPINSCHI seien 2012 etwa 1,8 mb/d dem Anteil der Ölsande zuzuschreiben. Die prognostizierten Förderraten von 3 mb/d bis 2020 und schließlich 5 mb/d im Jahr 2030 allein aus Ölsanden sind dabei besonders bemerkenswert. Laut MILLINGTON und ROZHON (2012: 47) könnte die Ölsandförderung 2035 sogar 6 mb/d erreichen.4.2.2, Förderung und Upgrading des Ölsands:Auf das Aufbereiten des Ölsands soll an dieser Stelle ein besonderes Augenmerk gelegt werden, denn es handelt sich um ein kontrovers diskutiertes Unterfangen.Laut GERLOFF (2008: 42) sind die Lagerstätten von Ölschiefern und Ölsanden dadurch gekennzeichnet, dass sie relativ oberflächennah vorkommen und somit verhältnismäßig "leicht" erschlossen werden können. In Athabasca ist die Schichtmächtigkeit bei 40-60 m sehr groß, die Ölsande liegen zudem nicht tiefer als 75 m, daher kann eine Förderung im Tagebau erfolgen (GERLOFF 2008: 44). Von technischer Seite aus gesehen besteht das Hauptproblem darin, dass das Bitumen von Sand und Wasser getrennt werden muss, bevor es aufbereitet werden kann (GERLOFF 2008: 42). Denn, so LINDER (2012: 30), "[i]n seiner Reinform ist Bitumen für kommerzielle Zwecke nicht nutzbar." Insgesamt lässt sich jedoch festhalten, dass es sich bei dem Endprodukt um ein minderwertigeres Öl handelt. So schreiben WALDEN et al. (2012: 3): "The lower quality of Alberta oil sands crudes has made it difficult to find existing markets in the US".ERDMANN und ZWEIFEL (2008: 179) unterscheiden bei der Förderung von Ölsanden zwei Verfahren: a.) im Tagebau und b.) durch In Situ-Verbrennung . Der Abbau im Tagebau ist laut GERLOFF (2008: 44) eher die Ausnahme, so können lediglich 10-20% der Ölsande (Stand: 2008) gewonnen werden. Der Entölungsgrad liegt laut BABIES (2003: 3) für den Tagebaubetrieb bei etwa 90%, wohingegen jener der In Situ-Verbrennung zwischen 25-75% stark schwankt. Mittlerweile (Stand: 2012) sind die oberflächennahen Ölsande aber bereits weitgehend gefördert, so dass nur die In Situ-Verbrennung als Fördermethode verbleibt (KLARE 2012a: 35). MILLINGTON und MURILLO (2013: 6) schreiben:"In situ extraction includes primary methods, similar to conventional crude oil production, enhanced oil recovery (EOR), and other methods, where steam, water, and/or solvents are injected in the reservoir to reduce viscosity of the bitumen, allowing it to flow. The remaining recoverable bitumen occurs near the surface and is anticipated to be recovered using mining techniques".Laut MILLINGTON und MURILLO (2013: 15) werden zu der In Situ-Verbrennung auch thermische und chemische EOR angewendet.Im Anschluss an die Extraktion aus dem Boden muss der Ölsand verarbeitet werden. Dies geschieht in Aufbereitungsanlagen oder auch "Upgradern" genannt. Um den Ölsand zum Upgrader zu transportieren, werden ihm heißes Wasser und Verdünnungsmittel zugeführt (BABIES 2003: 2-3). Zum Transport über große Strecken muss dem gewonnen Bitumen in den Upgradern Leichtöl beigemischt werden - ein Transport des Bitumens durch die Pipelines ist ohne Zusatz von leichterem Öl nicht möglich (GERLOFF 2008: 44-47). In einem Separationsprozess werden Bitumen, Sand, Ton, Salze und Wasser wieder voneinander getrennt; das Wasser (inklusive noch enthaltenen Sands, Tons und Restöls) wird zur Aufbereitung in ein Absetzbecken geleitet (BABIES 2003: 2). Im Upgrader erfolgt anschließend eine Umwandlung (bspw. mittels Hydrocracking) in ein "synthetisches Rohöl" mit einer niedrigeren Dichte (ca. 16-34 °API) (BABIES 2003: 3). Laut GERLOFF (2008: 47) liegt der kostenintensivste Part der Ölsandgewinnung (bis zu zwei Drittel der Gesamtkosten) bei der notwenigen Aufarbeitung des Bitumens i
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