Beschreibung
»Im Zug nach Frankfurt bemerkte ich eigenartige Bewegungen an einem Spielzeug. Ich kaufte mir ein solches Spielzeug, sobald ich in die Stadt kam. Ich stellte mir ein paar neue Streifen her und telefonierte mit dem Frankfurter Labor nach Versuchspersonen. Die schickten mir den Laborassistenten Dr. Köhler. Dann konnten wir auch Koffka gewinnen, und schließlich erschien auch Schumann. Er sagte mir, Köhler habe ihm von mir berichtet, und er wolle gern, dass ich das Institut besuche.«
Bei dem Spielzeug, von dem Wertheimer erzählt, handelte es sich wohl um eine rotierende Trommel, mit der Scheinbewegungen erzeugt werden können. Diese so genannten stroboskopischen Bewegungen (von gr. trobilos – Wirbel und skopein – sehen) entstehen dadurch, dass verschiedene Einzelbilder nicht mehr als Einzelbilder wahrgenommen werden, wenn man sie mit ausreichender Geschwindigkeit dem Auge präsentiert. Sie kennen dieses Phänomen vom Daumenkino. Werden dessen Blättchen schnell über den Daumen abgerollt, entsteht der Eindruck einer Bewegung.
Sie kennen dieses Phänomen ebenfalls vom richtigen Film, bei dem einzelne Bilder als Bewegung wahrgenommen werden, wenn man sie mit einer Geschwindigkeit von 24 Bildern pro Sekunde darbietet. Bei den alten Stummfilmen konnte man dieses Tempo noch nicht erreichen. Die Bewegungen erscheinen dementsprechend abgehackt.
Die Beobachtung, die Wertheimer während einer Zugfahrt gemacht hatte, veranlasste ihn zu seiner Arbeit »Über das Sehen von Bewegungen«, mit der er sich im Jahr 1912 habilitierte. Diese Leistung wird oft als Geburtsstunde der Gestalttheorie angegeben. Ganz richtig ist dies allerdings nicht. Was wäre dann aber die Geburtsstunde der Gestalttheorie?