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November

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Erschienen am 10.11.2014
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783944561356
Sprache: Deutsch
Umfang: 147 S.
Auflage: 1. Auflage 2014
E-Book
Format: EPUB
DRM: Adobe DRM

Beschreibung

1836 verliebte sich Gustave Flaubert (18211880) in eine ältere Frau, die den jungen Mann lange als große, platonische Liebe beschäftigte und sein Schreiben inspirierte. In der 1842 veröffentlichten Erzählung November, einem seiner frühesten Werke, klingen einige der damit verbundenen Erfahrungen an. Den jugendlichen Erzähler lässt der frühreife Autor Flaubert in erotischen Tagträumereien vom Erwachen sexueller Begierde erzählen, die jedoch unerfüllt bleibt, bis er der erfahrenen Marie begegnet. Sie, die als 16-Jährige mit einem deutlich älteren wohlhabenden Mann verheiratet wurde und die im Gegenzug zur Ableistung ihrer ehelichen Pflichten sexuelle Freiheit erlangte, berichtet ihm von ihren erotischen Erfahrungen, ohne dass sie je 'dem Richtigen' begegnet wäre. Im kurzen dritten Teil überlässt es Flaubert dem fiktiven Herausgeber, die in Sachen Liebe bis zum bitteren Ende unerfüllte Lebensgeschichte des Protagonisten zu erzählen, die angesichts des Publikationsdatums erstaunlicherweise einige Parallelen zu des Dichters eigener Biografie aufweist.

Leseprobe

Damals las ich viel. Besonders zwei Bücher habe ich wohl hundertmal gelesen: 'Paul und Virginie', und ein anderes, das den Titel hatte: 'Die Verbrechen der Königinnen'. Letzteres schilderte Messalina, Theodora, Margarethe von Burgund, Maria Stuart und Katharina II. 'Königin sein und die Menge in sich verliebt machen!' sagte ich mir. Nun, ich bin Königin gewesen, eine Königin, wie man sie heute sein kann. Wenn ich meine Loge betrat, ließ ich meine triumphierenden und herausfordernden Blicke auf das Publikum fallen. Tausend Köpfe folgten der Bewegung meiner Brauen. Ich beherrschte alles durch die Frechheit meiner Schönheit.Aber der ewigen Jagd nach einem Geliebten überdrüssig und dennoch sehnsüchtiger nach ihm als je, denn ich hatte mir aus dem Laster eine Qual gemacht, die mir teuer war, kam ich mit entflammtem Herzen hierher, als wenn ich noch eine Jungfräulichkeit zu verkaufen hätte. Voll Raffinement wollte ich ein elendes Leben führen, an den Reichtum gewöhnt, in der Not schlafen, denn wenn ich so tief hinabstieg, verlor ich vielleicht die Sehnsucht, ewig höher zu steigen. In dem Maß, wie meine Organe sich verbrauchten, würde auch sicher meine Gier sich beruhigen. Auf diese Weise wollte ich ein für alle Mal damit fertig und für immer dessen müde werden, was ich so glühend ersehnte. Ja, ich, die ich in Milch mit Erdbeeren gebadet habe, ich bin hierher gekommen, mich auf das gemeine Bett zu legen, in dem die Masse ihre Freuden sucht. Anstatt die Geliebte eines einzigen zu sein, habe ich mich zur Dienerin aller gemacht und dabei einen grausamen Herrn gefunden. Kein Feuer mehr im Winter, zu meinen Mahlzeiten keinen Wein mehr, seit einem Jahr trage ich das gleiche Kleid. Aber was liegt schon daran? Mein Gewerbe ist es ja, nackt zu sein. Doch kennst du meinen letzten Gedanken, meine letzte Hoffnung? Ich wollte eines Tages den finden, dem ich noch nie begegnet war, den Mann, der mich immer geflohen hat, den ich verfolgt habe bis in das Bett der Elegants, bis auf den Balkon in den Theatern. Ein Fantasiegebilde, das nur in meinem Herzen lebt und das ich in meinen Händen halten will. Eines Tages, so hoffte ich, wird sicher jemand kommen irgendwo muss er doch sein der größer, edler und stärker ist. Seine Augen werden geschlitzt sein wie die der Sultaninnen, seine Stimme wird erklingen in einer lasziven Melodie, seine Glieder werden die furchtbare und wollüstige Geschmeidigkeit der Leoparden haben, er wird einen Duft ausströmen, der mir die Sinne raubt, und seine Zähne werden mit Wonne in diese Brust beißen, die sich für ihn allein schwellt. Bei jedem, der zu mir kam, fragte ich mich: 'Ist er es?', und dann wieder bei einem anderen: 'Ist er es?' Er soll mich lieben, soll mich schlagen, soll mich zerbrechen! Ich allein will ihm ein ganzer Serail sein. Ich weiß, welche Blumen erregen, welche Getränke begeistern, wie die Erschlaffung sich in köstliche Ekstase wandelt. Kokett, wenn er es will, wird er mich plötzlich schmachtend und biegsam finden wie ein Rohr, süße Worte und zärtliche Seufzer hauchend. Für ihn werde ich mich winden wie eine Schlange, und nachts werde ich wilde Zuckungen haben und zerreißende Krämpfe. In einem warmen Land werde ich für ihn schönen Wein aus Kristallgläsern trinken, spanische Tänze tanzen und dazu die Kastagnetten erklingen lassen, oder ein Kriegslied heulend, werde ich springen wie die Weiber der Wilden. Wenn er Bilder liebt und Statuen, dann sollen große Meister mich malen oder in Stein hauen, damit er vor diesen Bildern auf die Knie sinkt. Wenn er will, dass ich sein Freund sein soll, werde ich mich kleiden wie ein Mann und mit ihm auf die Jagd gehen. Ich will ihm bei seiner Rache helfen. Wenn er jemanden ermorden will, werde ich sein Späher sein. Wenn er ein Dieb ist, werden wir zusammen stehlen. Und ich werde seine Kleider lieben und den Mantel, der ihn einhüllt Aber nein! Nie, nie! Die Zeit verging, ein Morgen kam herauf nach dem anderen. Umsonst hat man alle Stellen meines Körpers, an denen die Männer sich weiden, durch alle Wollust abgenutzt, ich bin geblieben, was ich mit zehn Jahren war Jungfrau wenn man die eine Jungfrau nennt, die weder einen Mann noch einen Geliebten hat, die den Genuss nicht kennenlernte und ohne Unterlass von ihm träumt, die sich reizende Phantome schafft und sie in ihren Träumen sieht, die ihre Stimme im Pfeifen des Windes vernimmt und ihre Gesichter im Antlitz des Mondes zu erkennen sucht. Ich bin Jungfrau! Lachst du darüber? Aber habe ich nicht die vagen Ahnungen und ihre glühende Sehnsucht? Alles, was zu ihr gehört, habe ich, bis auf die Jungfräulichkeit.Sieh am Kopfende dieses Bettes alle die Linien und Schrammen auf dem Mahagoni. Es sind die Nagelspuren all jener, die sich hier erfreut, all jener, deren Kopf das Holzwerk streifte. Nie habe ich etwas gemein mit ihnen gehabt. Und wenn wir uns auch mit den Armen so fest und eng umschlangen, wie menschliche Arme das vermögen, so trennte mich doch immer ein tiefer Abgrund von ihnen. Ach! wie oft entfernte ich mich, wenn sie am liebsten ganz in ihrem Genuss untergegangen wären, im Geiste tausend Meilen von dort, um die Matte eines Wilden oder die mit Schafsfellen versehene Höhle eines Hirten in den Abruzzen zu teilen. Keiner kommt meinetwegen, keiner kennt mich, sie suchen vielleicht in mir eine gewisse Frau, wie ich in ihnen einen gewissen Mann suche. Sieht man nicht in den Straßen manchen Hund, der den Kehricht beschnuppert, ob er nicht ein paar Hühnerknochen oder ein Stück Fleisch findet? Genau so ist es hier! Wer kennt all die überschwängliche Liebe, die herniederprasselt auf eine Dirne, alle die schönen Elegien, die in dem 'Guten Tag' enden, mit dem man sie begrüßt? Wie viele sind zu mir gekommen, deren Herz voller Gram und deren Augen voller Tränen waren! Die einen kamen von einem Ball, wollten in einer Frau alle die vereinigen, die sie eben verlassen hatten. Die anderen nach einer Heirat, außer sich bei dem Gedanken an die Unschuld. Und dann junge Leute, um in mir mit aller Muße ihre Geliebten zu betasten, mit denen sie nicht zu sprechen wagen. Sie schließen einfach die Augen und sehen so jene in ihren Herzen. Ehemänner, die wieder jung werden, die die leichten Freuden ihrer guten Zeit wieder genießen wollten, Priester, die vom Teufel getrieben wurden, die keine Frau suchten, sondern eine Kurtisane, die verkörperte Sünde. Sie verfluchen mich, sie haben Angst vor mir, und sie beten mich an. Damit die Versuchung stärker und das Entsetzen größer sei, sähen sie am liebsten bei mir einen gespaltenen Huf, und dass mein Kleid funkelte von Edelsteinen. Alle gehen sie vorbei, traurig, wie Schatten, die aufeinander folgen, wie eine Menge, von der man nur die Erinnerung an den Lärm behält, den sie machte, an das Trappeln dieser tausend Füße, an das wirre Getöse, das aus ihr aufstieg. Kenne ich auch nur den Namen eines einzigen? Sie kommen und verlassen mich; nie eine selbstlose Zärtlichkeit! Sie aber verlangen eine solche. Sie würden auch Liebe verlangen, wenn sie es nur wagten! Man muss sie schön nennen und für reich halten, und sie lächeln. Und dann lachen sie gern. Zuweilen muss man singen oder schweigen oder sprechen. Niemand hat geahnt, dass in dieser so bekannten Frau ein Herz schlug. Die Dummköpfe lobten den Schwung meiner Brauen und den Glanz meiner Schultern, waren ganz glücklich, einen solchen Leckerbissen so billig zu bekommen. Die unauslöschliche Liebe aber, die ihnen entgegeneilte und vor ihnen niedersank, die nahmen sie nicht.Und doch sehe ich Frauen, die Geliebte haben, sogar hier, wahre Geliebte, die sie lieben. In ihrem Bett und in ihrer Seele haben sie einen besonderen Platz für sie, und wenn sie kommen, dann sind sie glücklich. Für sie kämmen sie sich sorgfältig das Haar, für sie begießen sie die Blumen, die an ihren Fenstern stehen. Ich aber habe niemanden, nicht einmal die friedliche Liebe eines Kindes, denn man zeigt sie ihm mit dem Finger, die Prostituierten, und sie gehen an ihr vorbei, ohne den Kopf zu heben. Wie lange ist es her, du lieber Gott, dass ich nichtmehr draußen in den Feldern war, dass ich das Land nicht mehr gesehen habe. Wie viele Sonntage habe ich damit verbracht, auf den Klang dieser traurigen Glocken zu lauschen, die alle zum Gottesdienst rufen, den ich nicht besuche. Wie lange habe ich keine Kuhglocke mehr im Gehölz gehört! Ach! Ich will weg von hier! Ich langweile mich! Zu Fuß will ich in meine Heimat gehen! Ich gehe zu meiner Amme. Sie ist eine brave Frau und wird mich gut aufnehmen! Als ich klein war, ging ich zu ihr, und sie gab mir Milch. Ich werde ihr beim Aufziehen ihrer Kinder helfen und auch im Haushalt. Im Wald will ich Holz sammeln, und abends sitzen wir dann am warmen Feuer, wenn es draußen schneit. Bald kommt der Winter. Am Dreikönigstag verstecken wir die Bohne im Kuchen. Sie wird mich bestimmt lieben! Ich werde die Kleinen wiegen, bis sie schlafen. Wie glücklich werde ich sein!'Sie schwieg. Dann sah sie mich unter Tränen mit funkelndem Blick an, als wenn sie sagen wollte: 'Bist du es?'Gierig hatte ich ihr zugehört. Ich hatte gesehen, wie ihre Worte aus ihrem Mund kamen, hatte versucht, mich mit dem Leben zu identifizieren, das sie ausdrückten. Plötzlich zu einer Größe emporgewachsen, die sie zweifellos nur mir verdankte, schien sie mir eine andere Frau, voll unbekannter Geheimnisse, und trotz meiner Beziehungen zu ihr, voller Versuchung, voll eines aufreizenden Zaubers und neuer Reize. Die Männer, die sie besessen hatten, hatten gleichsam einen erstorbenen Duft auf ihr zurückgelassen, Spuren vergangener Leidenschaften, die ihr eine wollüstige Majestät gaben. Die Ausschweifung schmückte sie mit einer höllischen Schönheit. Hätte sie ohne die vergangenen Orgien dieses Selbstmörderlächeln gehabt, das sie einer Toten gleichen ließ, die in der Liebe erwacht? Ihre Wange war bleicher geworden und ihr Haar elastischer und duftender, ihre Glieder geschmeidiger, weicher und wärmer. Wie ich, war auch sie aus der Freude in den Kummer gegangen, aus der Hoffnung in den Ekel gelaufen. Namenlose Niedergeschlagenheit war wilden Krämpfen gefolgt. Ohne uns zu kennen, sie in ihrer Prostitution und ich in meiner Keuschheit, waren wir den gleichen Weg gegangen, der in den gleichen Abgrund führte. Während ich eine Geliebte suchte, hatte sie einen Geliebten gesucht, sie in der Welt, ich in meinem Herzen. Beide aber waren wir geflohen.

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