Beschreibung
Bei dieser Arbeit handelt es sich um eine Studie zur gegenwärtigen Sprachsituation des zu Norditalien gehörenden Aosta-Tals im Rahmen einer funktional orientierten empirischen Variationslinguistik. Während der Untersuchungsansatz vergleichbarer Studien bislang von einem bipolaren, vertikalen Sprachkontakt zwischen dominanter Standardsprache und regressiven Basisdialekten ausging, wird in dieser Arbeit erstmals eine dreigliedrige Kontaktsituation mit den Mitteln der funktionalen Variationslinguistik untersucht.
Die soziolinguistische Besonderheit des Aosta-Tals besteht darin, dass zu der latent konfliktträchtigen Kontaktsituation zwischen der italienischen Standardsprache und den frankoprovenzalischen Basisdialekten das Französische hinzutritt. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die hybride Stellung des Französischen als mythisierter Fremdsprache, die einerseits mit dem Frankoprovenzalischen in einem binnendiglossischen Verhältnis steht, andererseits aufgrund seiner Kooffizialität mit dem Italienischen die zentrale Legitimations-basis für die Autonomie der Region darstellt und daher von großer sprachpolitischer Brisanz ist. Insbesondere wird auf den verschiedenen linguistischen Beschreibungsebenen (Kompetenz, Pragmatik, Sprachmaterial) immer wieder der Vergleich mit dem standardseitigen „Konkurrenten“ Italienisch gezogen, wobei auch das Frankoprovenzalische berücksichtigt wird.
Eine Leitlinie, die für die Orientierung der Arbeit ausschlaggebend ist, ist die europäische Perspektive. Damit einher geht die Problematisierung des überkommenden Nationenbegriffs, dessen Folgen für die im Aosta-Tal vorliegende Sprachkonstellation unübersehbar sind. Der Autor weist nach, daß die latent konfliktgeladene Sprachsituation der Region auf sprach- bzw. ethnopsychologischer Ebene einer „differentiellen“ bzw. „pluralen“ regionalen Identität entspricht. In europäischer Perspektive erweist sich diese Tatsache jedoch nicht als Nachteil, sondern gerade als Chance.