Beschreibung
Die Wiederentdeckung eines vergessenen Autors und eines einmaligen Buches über die zwanziger Jahre: Es geht um das turbulente kulturelle Leben, um den damals neuen Film, um Theater, Literatur, Musik und Kabarett, um den Sport, aber auch um die politische Bedrohung spätestens seit 1930 durch die Nazis und ihre Mitläufer in der kulturellen Szene.Dieses Buch, 1952 erstmals veröffentlicht unter dem Titel "Heimweh nach dem Kurfürstendamm", wurde schnell zum Bestseller. Es war der erste Rückblick auf die zwanziger und frühen dreißiger Jahre - geschrieben von einem der begabtesten und quirligsten Journalisten dieser Zeit, der eben nicht nur von außen beobachtete, sondern immer mitten im Geschehen war. Aus dieser Nähe gewinnt das Buch seine Lebendigkeit, seine atmosphärische Stärke und die Vielfalt seiner Informationen und Anekdoten - eine unterhaltsame Revue auf sehr hohem Niveau.
Autorenportrait
Paul Marcus, 1901 als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Beeskow geboren, lebte seit 1911 in Berlin. Banklehre und Arbeit als Bankkaufmann. Ab 1924 journalistisch tätig, vor allem als Theater- und Filmkritiker und Feuilletonist, meist unter dem Kürzel PEM. Freundschaft mit vielen Regisseuren, Schauspielern und Autoren, u.a. Billy Wilder, Max Herrmann-Neisse, Egon Erwin Kisch, Hans Habe, Hans Albers oder Gabriele Tergit.März 1933 Flucht und Emigration über Prag nach Wien, ab 1937 in London. Dort Korrespondent für amerikanische Filmzeitschriften und deutsche Exilblätter, Herausgeber eines wöchentlichen Exil-Nachrichtendienstes in deutscher Sprache. Gabriele Tergit nannte ihn den "Pressesprecher des Exils". 1940 Eintritt in die britische Armee, Einsatz in Dünkirchen, 1942 aus gesundheitlichen Gründen entlassen. Nach 1945 Mitarbeit bei verschiedenen neugegründeten Zeitungen und Zeitschriften, u.a. Die Neue Zeitung, Münchener Illustrierte, Stuttgarter Zeitung, Schweizer Illustrierte Zeitung. 1948 erstes Wiedersehen mit Deutschland und Berlin. Er bleibt aber in England.1972 stirbt er in London. Seine zweite Frau vernichtet den gesamten Nachlass mit unschätzbaren Dokumenten und Briefen aus der Exil- und Nachkriegszeit.
Leseprobe
Heimweh nach dem KurfürstendammSechs Uhr früh. Bahnhof Charlottenburg. Es war ein eiskalter Januarmorgen des Jahres 1948, als ich nach fast genau fünfzehn Jahren wieder auf Berliner Boden stand. Rings um mich wieder Menschen, die meine Muttersprache redeten - echtes Berlinisch. Es war noch nicht ganz hell. Schnell hatte ich Herrn Grün ausfindig gemacht, den von Freunden geschickten Schofför, der mich ins Hotel fahren sollte. Er nahm dankend die Zigarette, die ich ihm anbot, rauchte sie aber nicht, sondern steckte sie sorgfältig in sein leeres Etui. Und wir fuhren los. Durch die Ruinen der Kantstraße im fahlen Morgendämmer; sie sahen nicht viel anders aus als die Trümmer, die ich auf der langen Fahrt durch Deutschland gesehen hatte.Welche Gefühle hat man, wenn man nach so vielen Jahren des unfreiwilligen Fernseins in die Heimat zurückkehrt? Heimat ist, hat jemand gesagt, "wo man Erinnerungen hat". Unser Herz hängt ja nicht an Mauern, sondern an Menschen, und wo waren diese Menschen wohl hingekommen? Befand sich unter den wenigen Passanten, die da mit Rucksäcken zu so früher Stunde durch die Straßen schlichen, am Ende einer, mit dem ich einst die Schulbank gedrückt, oder ein Kellner, der mich irgendwann einmal bedient hatte?Als ich ein paar Stunden später durch die Straßen ging, in denen ich einst zu Hause gewesen war, schien mir die Heimat zur Fremde geworden. Es war, als sei ich in Pompeji. Wie die Reste einer untergegangenen Welt sahen Plätze und Häuser aus. Oder war es, als käme ich, mein eigenes Grab zu besuchen? Das Haus, in dem uns Herr Lachmann* die ersten Bände Rilke verkauft hatte, stand nicht mehr. An dieser Ecke hatten wir uns von unserem alten Vater verabschiedet. Wo diese Trümmerreste in den Himmel ragten, war einst ein Rummelplatz gewesen. "Wer haut, wer pufft den Lukas in die Luft?!", klang es in meinen Ohren nach, als ob nicht dreißig Jahre dazwischen lägen. Um den Schutthaufen, der nunmehr den Bayerischen Platz darstellte, war der elegante, gut aussehende Herr Jeannin geschlendert, einst der erste "Looping-the-loop"-Flieger der Welt, bis er eines Tages wegen Verführung Minderjähriger vor Gericht gestanden hatte. Dort war das Café Boese, in dem ich mein letztes Telephongespräch in Berlin geführt hatte, und daneben das Wittelsbach-Kino, in das ich verbotenerweise geschlüpft war, um die verregneten Filme der stummen Zeit zu sehen.
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