Beschreibung
Erzählungen aus Kolumbien In diesem Buch erinnert sich Gabriel García Márquez - neben anderen Geschichten, die ihn fasziniert haben - an das Drama des Lebensmüden, der vom 10. Stock eines Hochhauses springt und auf dem Weg nach unten in die Wohnungen seiner Nachbarn schaut und die kleinen häuslichen Tragödien mitkriegt, die flüchtigen Liebschaften, die kurzen Augenblicke des Glücks, Dinge, von denen die Kunde nie bis ins grosse Treppenhaus gedrungen war, so dass er im selben Moment, in dem er aufs Pflaster der Strasse schlägt, seine Einstellung zur Welt vollkommen geändert hatte und zu der Erkenntnis gelangt war, dass dieses Leben, das er soeben durch die falsche Tür verliess, wohl wert war, gelebt zu werden. Der kleine Text will einem wie eine Parabel für das Schicksal von Kolumbien selbst erscheinen - ein Land, das mit rasender Geschwindigkeit auf seinen eigenen Untergang zusteuert und dabei die ganze Schönheit und Vielfalt seines künstlerischen, literarischen und menschlichen Genies abspult (und sich durch dieses Erkennen vielleicht noch rettet). Der Herausgeber Peter Schultze-Kraft, der seit fünf Jahrzehnten mit verzweifelter Liebe an Kolumbien hängt, unternimmt den Versuch, das kolumbianische Drama - die Verlorenheit der Menschen, ihre materielle Not und die daraus resultierende Gewaltbereitschaft - anhand von drei Schlüsselthemen, die auch in der Literatur des Landes eine wichtige Rolle spielen, zu deuten. Diese Themen sind: die Entwurzelung, die Gewalt, die Einsamkeit der Frau. Mit Entwurzelung ist der Verlust des traditionellen geografischen, sozialen und kulturellen Ambiente gemeint, den Millionen von Kolumbianern durch Vertreibung, wirtschaftlich bedingte Abwanderung oder den Zusammenbruch der alten Werte und Strukturen erlitten haben, der allzu rasche Wandel von einer ländlichen zu einer städtischen bzw. grossstädtischen Gesellschaft. Die logische Folge der Entwurzelung war das Aufkommen der Gewalt und die Gewöhnung an sie als eine tägliche Erscheinung. Dass aber Gewalt der falsche Ausbruch aus der Einsamkeit ist - diese Erkenntnis lässt sich eindrucksvoll an der Situation der Frau in Kolumbien nachweisen. Zugleich gibt es Anzeichen, dass die Heilung der Kolumbianer von ihrer Krankheit mit der Befreiung der Frau aus ihrer Einsamkeit beginnt bzw. schon begonnen hat. Obwohl Hören wie die Hennen krähen ein eigenständiges Buch ist, kann es als Ergänzung bzw. Vertiefung von Und träumten vom Leben, dem Standardwerk der kolumbianischen Erzählkunst der letzten 100 Jahre (erschienen 2001 in der edition 8), angesehen werden.