Beschreibung
'Ein Standardwerk für die Freud-Lektüre.' - Sigrid Löffler 'Müller mag bei den Dingen verharren, an der Oberfläche bleibt er nicht.' - Tagesspiegel 'Lothar Müllers Erzählung von Kerzen, Möbeln, technischen Apparaten, Büchern, Wohnungen, Zeitungsschnipseln, Kunstwerken und Alltagsdingen aus dem Inventar des 19. Jahrhunderts ist selbst ein archäologisches Unternehmen.' - Deutschlandfunk Kultur 'Sein Buch ist eine Mythologie des Alltags, und es verdeutlich am Alltag einer Theoriebildung, dass Theorie ohne Alltag so etwas wäre wie ein Liebesgedicht eines Dichters, der noch nie verliebt war.' - Philosophie Magazin Wer sich in die Fallgeschichten Sigmund Freuds vertieft, der versteht: Das nebenher Gesagte, das belanglose Detail ist das Entscheidende. Da taucht zum Beispiel die 'Apollokerze' auf, das Erfolgsprodukt der Wiener 'Apollogesellschaft', die in dem im Jahr 1839 bankrottgegangenen Etablissement 'Apollosäle' ihren Firmensitz hatte: industriell gefertigte Stearin-Kerzen, die reißenden Absatz fanden, weil ihr Docht nicht nachgeschnitten werden musste. Die Lexika belegen es: Diese Apollokerzen wurden zum Synonym für Stearin-Kerzen. Und: Sie bevölkern das Unbewusste unbescholtener Fräuleins, kommen auf Freuds Couch zur Sprache. Die Psychoanalyse ist eine archäologische Unternehmung, sie gräbt im Unbewussten, im Verborgenen nach Scherben und Fragmenten. Aber sie gräbt nicht Rom aus, sondern die Gegenwart. Die Apollokerzen gingen aus der Einwanderung der antiken Götter und Heroen in den bürgerlichen Alltag hervor. Kein Telegrafenamt ohne Atlas mit der Weltkugel, keine Glühbirnen ohne Lichtgötter, kein Transportunternehmen ohne Merkur, kein Kaminsims ohne Venus von Medici. Die frühe Psychoanalyse folgt dem Gesetz, nach dem die Kerzenfabrikanten, die Vergnügungsbranche oder die Industrie ihre Waren benennen. Und wie die Apollokerzen in der Dingwelt kursierte der 'Ödipuskomplex' bald in der Alltagssprache. Das Unbewusste von Freuds Patienten war bevölkert mit den Requisiten des bürgerlichen Alltags und Interieurs. In ihren Träumen und Fehlhandlungen regiert die 'Tücke des Objekts', die damals sprichwörtlich wurde. So sind Freuds Schriften nicht nur eine Aufdeckung des Verdrängten oder Verdichteten, der Lektüre im Unbewussten, sondern zugleich ein Kompendium der Dingwelt des 19. Jahrhunderts, vom Regenschirm bis zu den Schreibgeräten. Das Unheimliche und das Harmlose begegnen sich an dieser Schnittstelle.
Autorenportrait
Lothar Müller (geb. 1954) ist Literaturkritiker, Literaturwissenschaftler, Journalist und Autor. Er ist Feuilletonredakteur der Süddeutschen Zeitung mit Sitz in Berlin, Preisträger des Alfred-Kerr-Preises (2000), des Johann-Heinrich-Merck-Preises (2008) und des Berliner Preises für Literaturkritik (2013) sowie Autor zahlreicher Bücher (zuletzt: Weiße Magie. Die Epoche des Papiers, 2012, Hanser). Seit 2010 ist er Honorarprofessor an der HU Berlin.