Beschreibung
Gegenstand der Studie sind mittelhochdeutsche Versbearbeitungen des Nikodemusevangeliums (Konrad von Heimesfurt: Diu urstende; Gundacker von Judenburg: Christi Hort; Heinrich von Hesler: Evangelium Nicodemi) und deren Rezeptionszeugnisse. Ausgehend von der darin erfolgten partiellen Umgestaltung des Prozesses gegen Jesus nach Konventionen des 'deutschen' Rechts wird die grundsätzliche Frage nach der Funktion solcher Bezüge auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit gestellt. Eine umfassende Untersuchung der komplexen Vernetzungen von Text und Kontext erschließt deren inhaltliche Implikationen für die narrative Sinnkonstitution wie auch die Stellung der Erzähltexte im Rechtsdiskurs: Wie lässt sich davon erzählen, dass in der Gestalt Jesu Gott vor Gericht steht, den die Texte zugleich als Legitimationsgrund allen Rechts inszenieren? Über die Analyse des Verhältnisses von 'Literatur' und 'Recht' werden außerdem die Möglichkeiten und Grenzen der kulturellen Aneignung eines heilsgeschichtlichen Stoffes erkundet. Damit eröffnen die Ergebnisse auch neue Perspektiven auf die Poetologie bibelepischen Erzählens.
Autorenportrait
Prof. Dr. Henrike Manuwald lehrt germanistische Mediävistik an der Georg-August-Universität Göttingen.
Inhalt
1 Jesus und das Landrecht: Perspektiven auf reht in der Bibelepik
1.1 Erzählen von Gott vor Gericht: Zum Ausgangspunkt der Untersuchungen
1.2 Diu urstende, Christi Hort und das Evangelium Nicodemi im Spiegel der Forschung
1.3 Realitätsreferenz als Forschungsproblem
1.4 Text und Kontext: 'Recht' als Bezugsfeld
1.5 Vorgehensweise und Zielsetzung
2 Das lateinische Nikodemusevangelium: Zu 'Literatur und Recht' im Prätext
2.1 Charakteristika des Werks
2.2 Zur Forschungslage
2.3 Ausgestaltung der Prozesshandlung
3 Variationen der Rechtsthematik in Diu urstende, Christi Hort und dem
Evangelium Nicodemi
3.1 Das Nikodemusevangelium aus der Sicht des 'deutschen' Rechts: Anknüpfungspunkte
und Irritationsmomente
3.2 Konrad von Heimesfurt, Diu urstende
3.3 Gundacker von Judenburg, Christi Hort
3.4 Heinrich von Hesler, Evangelium Nicodemi
3.5 Zur Hybridität der Erzählwelt
4 Verfahren der kulturellen Aneignung in Diu urstende, Christi Hort und dem
Evangelium Nicodemi
4.1 Explizite kontextuelle Verankerung
4.2 Implizite Adressierung zeitgenössischer Erfahrungswirklichkeit
4.3 Mediävalisierung der Heilsgeschichte
5 Externe Bezugsfelder von Diu urstende, Christi Hort und dem
Evangelium Nicodemi
5.1 geriht: Die Verantwortung des Richters
5.2 wârheit: Das Verhältnis von Offenbarungswahrheit und juristischer
Wahrheitsfindung
5.3 reht und ê: Gottes Recht auf Erden?
5.4 Das Spannungsverhältnis von diskursiver und narrativer Logik
6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen von
Diu urstende, Christi Hort und dem Evangelium Nicodemi
6.1 Die Passionskompilation, die Weltchronik Heinrichs von München
und Die Neue Ee
6.2 Das Evangelium Nicodemi in Kompilationen mit Bruder Philipps Marienleben
6.3 Das (Klosterneuburger) Evangelienwerk des Österreichischen Bibelübersetzers
6.4 Die Prosafassung E des Nikodemusevangeliums
6.5 Hawich der Kellner, Sankt Stephans Leben
7 Jesus und das Landrecht: Aspekte einer Poetologie bibelepischen Erzählens
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis