Beschreibung
Seitdem die Menschheit reflektiert, macht sie sich Gedanken darüber, ob Wach- und Traumbewusstsein identisch oder verschieden seien. Während Mystiker unser gesamtes Leben für einen Traum halten, Kinder ihre Phantasien für die Realität nehmen, archaische und traditionelle Völker an die Verwirklichung ihrer Träume und die Wirkungsmächtigkeit ihrer Einbildungen in Heilungsséancen glauben, hält der moderne westliche, rational aufgeklärte und durch die kritische Vernunft entmythologisierte Mensch Träume für Schäume und nur sein wissenschaftlich interpretiertes Weltbild für wahr und real, ein Weltbild, das bei genauerem Zusehen ein reduktionistisches Konstrukt darstellt. Alle Beweise für eine Differenz von Wach- und Traumzustand, seien es solche, die sich auf die Gesetzmäßigkeit der Realität berufen oder auf deren Anschaulichkeit, Leibhaftigkeit oder Affektivität, erweisen sich als unhaltbar. Wach- und Traumbewusstsein sind - wie auch verschiedene kulturspezifische Weltbilder - je verschiedene Auslegungen eines unverfügbaren sublinguistischen und subrationalen Hintergrundes. Jede Kultur interpretiert diesen in einer für sie typischen Weise und deutet ihn zu ihrer Realität um, welche aber letztlich nur konstruktivistisch zu erklären ist.
Autorenportrait
Karen Gloy war von 1985 bis 2006 Professorin für Philosophie und Geistesgeschichte an der Universität Luzern (emeritiert). Sie lehrt weiterhin an den Universitäten Wien, München und Luzern. Forschungsschwerpunkte u.a.: Metaphysik, Naturphilosophie, Interkulturelle Philosophie.