Beschreibung
Conrad Ferdinand Meyers früh verstorbener Vater hat die Universität Zürich gegründet, seine wahnsinnige Mutter ersatzweise ihren Sohn in das Irrenhaus einliefern lassen, als er fünfundzwanzig Jahre alt war. Mit fünfundsechzig, die Mutter hat sich längst umgebracht, erwischt ihn dann selbst die Altersdepression, die seinem Schreiben ein Ende machen wird. Inmitten einer solchen Gemengelage aus Zuschreibungen, Halluzinationen, Depressionen, den wissenschaftlichen und den (neuen) psychiatrischen Diskursen entstehen die glasklaren und intrikaten Gedichte, Novellen, Verserzählungen Conrad Ferdinand Meyers, denen Friedrich Kittler sein erstes und, wie er noch kurz vor seinem Tod bekennt, 'bestes Buch' widmet.Keine Frage, eine Vater-Mutter-Kind-Konstellation, aus der eine psychoanalytische Literaturwissenschaft ihre Deutungsmuster gewinnen könnte, ist hier so wenig gegeben wie der Anlass zu einer klassischen Genieästhetik. So führt Friedrich Kittler in seinem inzwischen völlig vergriffenen Buch aus dem Jahre 1977 nicht nur zum ersten Mal Jacques Lacan in die Wissenschaft von der deutschen Literatur ein, indem er die Sprache selbst sprechen lässt, die sich aus solchen Schichtungen des Realen, des Symbolischen und des Imaginären ergibt, sondern überführt auch als Erster unter dem Einfluss von Michel Foucaults Geschichte des Wahnsinns Psycho- in Diskursanalyse (sowie später diese wiederum in Medienanalyse).Der Traum und die Rede war Kittlers Dissertation und ist vermutlich sein unbekanntestes Buch, und doch hat es wie kaum ein zweites Epoche gemacht, schon deshalb, weil sein Verfahren und seine Ergebnisse nach langen Kämpfen heute Standard sind. Erhalten hat sich in Kittlers Nachlass, der im Deutschen Literaturarchiv Marbach gepflegt wird, ein Handexemplar, das der vorliegenden Ausgabe zugrunde liegt. Dokumentiert werden insbesondere die darin enthaltenen Korrekturen Kittlers, die zum Teil über bloße Druckfehler hinausgehen. Ergänzt wird diese Neuauflage um Dokumente zur Entstehungsgeschichte, und natürlich wird auch Kittlers später Wunsch erfüllt: 'Bitte alle Anmerkungen in der Diss., die in doofen Klammern meinen Fließtext stören, in schöne Fußnoten versenken. Es gab damals noch keine Textprogramme, sondern nur die Schreibmaschine. Mein bestes Buch, es möchte auch das schönste werden.'