0

Warten, hoffen und endlich fahren

eBook - Auto und Sozialismus in der Sowjetunion, in Rumänien und der DDR . (1956-1989/91), Beiträge zur Historischen Verkehrsforschung des Deutschen Museums

Erschienen am 02.10.2014, Auflage: 1/2014
CHF 52,00
(inkl. MwSt.)

Download

E-Book Download
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593425108
Sprache: Deutsch
Umfang: 305 S., 3.02 MB
E-Book
Format: PDF
DRM: Digitales Wasserzeichen

Beschreibung

Das Auto spielte im Staatssozialismus in der Sowjetunion, in Rumänien und in der DDR eine wichtige Rolle. Es half unter der rigiden Ostpolitik bei der Bewältigung des Alltags und vermittelte seinen Besitzern die Illusion von Freiheit. Anschaulich demonstriert die Autorin, dass das Auto in der Zeit zwischen Stalins Tod und dem Fall der Berliner Mauer ein Knotenpunkt von Wirtschaft, Lebensgestaltung und politischer Legitimation war.

Autorenportrait

Luminita Gatejel, Dr. phil., ist wiss. Mitarbeiterin am Institut für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg.

Leseprobe

EinleitungKein weiterer Gegenstand löste mehr Faszination aus als das Automobil. Zu Recht wurde das 20. Jahrhundert als das Jahrhundert des Autos (the century of the car) oder als das automobile Zeitalter (the automobile age) bezeichnet. Im Automobil wurde der Traum der Moderne, der Überwindung von Raum und Zeit, des technischen und sozialen Fortschrittes geträumt. Es verwandelte nachhaltig unsere Landschaften, als ein komplexes Netz von Straßen, Autobahnen und Tankstellen gebaut wurde, um einen möglichst ungestörten Verkehrsfluss zu gewährleisten. Mehr als eine Milliarde Autos wurde in den letzten 100 Jahren hergestellt. Der Pkw begleitete seine Besitzer durchs ganze Leben, erste Kindheitserinnerungen, wilde Jugenderlebnisse, sexuelle Erfahrungen, Gehaltserhöhungen oder Familienfeiern werden häufig mit dem Auto in Verbindung gebracht. Von seiner Anziehungskraft ließen sich nicht nur einfache Verbraucher, sondern auch Ingenieure, Stadtplaner, Architekten, Geschäftsmänner und nicht zuletzt Politiker bezaubern. Unzählige Ressourcen und eine enorme Arbeitskraft wurden eingesetzt, um den globalen Siegeszug des Automobils in unseren Gesellschaften voranzubringen. Aber von Anfang an gab es Widerstand gegen seine Ausbreitung. Sein schädlicher Einfluss auf die Umwelt mobilisierte Generationen von Umweltaktivisten, die eine Einschränkung der Motorisierung anstrebten; Anstrengungen, die bis heute anhalten. Und schließlich, obwohl Soziologen sich schon eine Zeit nach dem Auto vorstellen, bleibt dieses außergewöhnliche Artefakt, mit seinen Vorteilen wie mit seinen Nachteilen, weiterhin ein wichtiger Referenzpunkt für unsere Gesellschaften.Der Beitrag der sozialistischen Länder zur automobilen Revolution fällt hingegen eher bescheiden aus. Die individuelle Motorisierung kam in diesen Staaten nur schleppend voran, obwohl einige der berühmtesten Autohersteller der Zwischenkriegszeit, ¦koda, BMW und Horch, ihren Sitz dort hatten. Die automobile Welt im Osten war durch mehrjährige Wartelisten für Individualverbraucher gekennzeichnet, durch Ersatzteilmangel und veraltete Technologie. Sozialistische Automarken wurden häufig in Ländern, in denen der Individualverkehr verbreiteter war, verspottet und belächelt. Aber auch die sozialistischen Bürger selbst schwankten zwischen Zuneigung und Ablehnung ihres eigenen Gefährts, während die meisten von ihnen sich nach einem leistungsfähigeren Auto, meist aus dem kapitalistischen Ausland, sehnten. Sowohl in Zahlen als auch in der Qualität schnitt der Automobilismus der sozialistischen Länder wesentlich schlechter ab als die internationalen Marktführer. Hemmend kam hinzu, dass die Pkw-Industrie, mit Ausnahme der DDR, lange Zeit keine Priorität für die Politiker und Wirtschaftsplaner besaß. Sicherlich trug die Propaganda des Kalten Krieges, die eine östliche Mangelwirtschaft von einer westlichen Überflussgemeinschaft unterschied, zu dieser negativen Wahrnehmung des sozialistischen Erbes auf dem Gebiet der Motorisierung bei. Fakt ist, dass die Unzulänglichkeiten der sozialistischen Autowelt nicht schöngeredet werden können. So fragt sich, wie sich eine historische Studie rechtfertigen lässt, die den Pkw in seiner individuellen Nutzung im Sozialismus in den Mittelpunkt ihres Erkenntnisinteresses stellen will.Der Blick durch die Windschutzscheibe ermöglicht eine andere Sicht auf den Staatssozialismus. Das Automobil als Forschungsgegenstand erlaubt einen Querschnitt durch Politik und Alltag in spätsozialistischen Gesellschaften. In den 1960er Jahren (in der DDR und der Tschechoslowakei mit einem kleinen zeitlichen Vorsprung) wurde der Pkw aus seinem Schattendasein entlassen und trat in der sozialistischen Staatsdoktrin an die erste Stelle. Zeitversetzt und unter veränderten Voraussetzungen folgte das Fortschreiten der Motorisierung in den sozialistischen Ländern dem der kapitalistischen Länder. Dass viele der hehren Ziele auf dem Gebiet der individuellen Motorisierung nur Programm blieben, macht arbeitspraktisch keinen großen Unterschied. Die Fokussierung auf diesen bedeutungsvollen Gegenstand, der unter vielen unterschiedlichen nationalen Kontexten einen Siegeszug durchlaufen hat, bietet die Möglichkeit, die sozialistischen Eigenarten dieses Implementierungsprozesses besonders anschaulich hervorzuheben. Speziell beschäftigt sich diese Studie mit dem Auto als einem Konsumgegenstand im Vergleich von drei Länderbeispielen, der Sowjetunion, der DDR und Rumänien. Das Auto funktioniert als Schnittpunkt zwischen Wirtschaftsplanung, politisch-kultureller Legitimation und Lebensgestaltung. Es steht als ein Zeichen für Mobilität, Wohlstand und modernen Lebensstil. Es wird davon ausgegangen, dass sowohl privat als auch öffentlich genutzte Pkws in erheblichem Maße Prestige transportierten. Daneben kam dem Auto bei der Bewältigung des Alltags und für die Freizeitgestaltung eine grundlegende Bedeutung zu. Als chronologischen Schwerpunkt habe ich die 1960er und 1970er Jahre, die "goldenen" Jahre der Konsumgeschichte im Ostblock gewählt. Dabei wird vor allem der Frage nachgegangen, was sozialistisch war oder besser gesagt, was in der Welt des Automobils dieser Zeit als "sozialistisch" galt. Kann man von einer staatssozialistischen Autowelt sprechen? Oder pointierter formuliert: Muss man von ihr sprechen als einem spezifischen "System der Automobilität", in dem sich Autos, Fahrer, Verteilungskriterien und nicht zuletzt politische Entscheidungen und rechtliche Festlegungen auf eine besondere Art zusammenfügen?Die Wahl der Länder wurde nicht nur aus pragmatischen Gründen getroffen, sondern dahinter steckt die Überlegung, die klassischen Grenzen zwischen den Gebieten der Osteuropaforschung, d.h. Ostmitteleuropa, Südosteuropa und Sowjetunion, aufzubrechen. Ich gehe von der Prämisse aus, dass die drei Länderbeispiele einem gemeinsamen Raum angehören, in dem eine Vielzahl von Transferprozessen stattgefunden hat. Die Akteure (sowohl Staat als auch die Bürger) waren ständig in einen gegenseitigen Beobachtungsprozess involviert und standen dadurch in einem dauerhaften Austausch miteinander. Rückblickend ist festzuhalten, dass die von mir gewählten drei Länder mit einem unterschiedlichen historischen "Gepäck" die sozialistische Autowelt betraten. In der sowjetischen Einflusssphäre trafen sowohl das traditionsreiche Autoland Deutschland als auch das sozialistische Rumänien, das so gut wie keine Erfahrung in diesem Bereich besaß, aufeinander. Es sind genau diese großen Anfangsunterschiede, die den zweiten Grund für meine Länderauswahl ausmachten. Hinzu kommt schließlich ein dritter, der von unterschiedlichen Beziehungen zum Zentrum - die "treue" DDR bzw. das "abtrünnige" Rumänien - ausgeht. Denn trotz der vielschichtigen Differenzen, ungleichen Beziehungen zueinander, andersgearteten Prioritäten der Regierungen entstand im Ostblock eine länderübergreifende "sozialistische Lebensweise". Die Analyse der dazugehörenden Konzepte, Praktiken und Wertevorstellungen, die auch die Beschaffenheit der Autowelt prägten, bildet die Hauptuntersuchungsebene.Als Ausgangspunkt für die Arbeit habe ich dabei das Jahr 1956 des XX. Parteitages der KPdSU gewählt. Die Wirren nach Stalins Tod, die mit Chru¨?evs Geheimrede ein Ende nahmen, hatten die sowjetische Gesellschaft aus den Fugen gebracht. Auch die Autowelt wurde ihrer Ordnung entrissen. Das Automobil als das stärkste Statussymbol der Elite, wie es der Stalinismus wollte, traf auf die chru¨?evschen staatlichen Leihwagenzentren, die zumindest im Anspruch alle Hierarchien einebnen sollten. Durchsetzen sollte sich zehn Jahre später das Auto als Eigentumswagen. Wie ist diese etwas überraschende Entwicklung zu deuten? Wird man den Eigenarten der sozialistischen Autowelt gerecht, wenn man sie lediglich als eine verspätete Nachahmung des Westens bezeichnet? Hier soll das Problem der technischen Kooperation mit dem Westen angesprochen werden. Der Import westlicher Technologien sollte eine Verbesserung der sozialistischen Produktionsquoten zum Beispiel im Bereich der Autoindustrie bewirken. In der Sowjetunion entwickelte man in Tol'jatti ein eigenes Automobil mithilfe italienischer Fiat-Technologie, in Rumänien nutzte man das Know-how des französischen Autoherstellers Renault und in der DDR griff man auf das Wissen der Vorkriegszeit zurück. Doch mithilfe welcher Mechanismen wurde der Austausch mit dem Westen auf den Technologieimport beschränkt und wie wurden westliche Ideen bzw. Vorstellungen von der Bevölkerung ferngehalten?Und worin bestehen die lokalen Unterschiede? Die DDR gilt als der Vorreiter, der auf langjährige Erfahrung und eine gut ausgestattete Infrastruktur setzen konnte, während Rumänien als Nachzügler mit seinem groß angelegten Motorisierungsplan Ende der 1960er Jahren die Welt in Staunen versetzte. Die Sowjetunion investierte erst in das alternative System der Vergesellschaftung von Fahrten und Automobilen, um dann mit der neuen Bre¸nev-Kosygin-Regierung die Massenmotorisierung nach dem Modell des Einfamilienwagens voranzutreiben. Die Deutungen dieser Entwicklung sind jedoch äußert verschieden: In der DDR stand sie in einer langen Tradition von deutscher Überlegenheit in Sachen Technik, in der UdSSR stellte sie die Überlegenheit des sozialistischen Systems in Zeiten des Kalten Krieges unter Beweis und in Rumänien bestätigten die neuen Technikerfolge die Richtigkeit des eingeschlagenen Kurses zur politischen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit. Dabei ist zu unterstreichen, dass alle drei Wege und Umwege zu einer ähnlich gearteten Massenmotorisierung führten: Im Straßenbild dominierte ein Automodell, der Privatbesitz von Autos wurde bevorzugt, um nur zwei der gemeinsamen Merkmale zu erwähnen. Die Untersuchung dieser politisch-ökonomischen Diskurszusammenhänge samt ihrer lokalen Gewichtung soll den ersten großen Komplex meiner Arbeit ausmachen.Der Blick auf den Pkw bringt die für den Sozialismus äußerst wichtigen Bereiche der Technik und des Konsums zusammen. So trafen sozialistische Umgestaltungsutopie und Erziehungsimpetus aufeinander. Es häuften sich die Metaphern einer im Überfluss lebenden, technisierten sozialistischen Welt. Technik verbreitet Wohlstand. Technik im Dienste des (sozialistischen) Menschen bedeutet Entlastung für die Arbeitenden. Technische Geräte sollten Mann und Frau von ermüdender Arbeit befreien, sodass der dadurch entstandene Zeitgewinn sinnvoll in der Gemeinschaft genutzt werden konnte. An diesem Punkt muss ich mich mit einem Widerspruch auseinandersetzen: Der Stolz auf sozialistische Werte mischte sich mit Neid auf den kapitalistischen Wohlstand. Für die Bevölkerung des Ostblocks galt die reiche, westliche Konsumkultur als Maßstab, im Vergleich zu der der rigide zentrale Verteilungsplan, das nicht ausreichende Sortiment an Waren, die minderwertige Qualität der Produkte und die langen Wartezeiten bei einem Einkauf sinnbildlich für die sozialistische Konsumlandschaft waren. Denn offensichtlich gab es Spannungen zwischen der offiziellen Definition der sozialistischen Konsumgesellschaft und dem mystischen Bild, welches sich ein Großteil der Bevölkerung von der kapitalistischen Wirtschaft machte.

Inhalt

InhaltEinleitung 9Forschungsstand 17Vergleichen und verflechten 21Struktur 231. Der Weg in die Massenmotorisierung 261.1. Persönlicher Besitz versus kollektive Nutzung: Zum Status des Automobils in staatssozialistischen Gesellschaften 271.1.1. Die neue stalinistische Elite am Steuer 291.1.2. Leihwagen für alle 321.1.3. Die Anfänge der Massenmotorisierung in der DDR 381.1.4. Individueller Massenverkehr in der Sowjetunion und Rumänien 441.1.5. Sozialismus ohne Wachstum 481.1.6. Schlussfolgerung 511.2. Automobile Konsumkultur im Sozialismus 521.2.1. Elitäre Konsumkultur im Stalinismus 551.2.2. Der Massenkonsum der Chru¨?ev-Ära 581.2.3. Die Entwicklung des Konsums in der Bre¸nev-Zeit 611.2.4. Ostdeutsche Avantgarde an der Konsumfront 671.2.5. Rationaler Konsum als Existenzminimum in Rumänien 711.2.6. Leitbilder und Diskurse des sozialistischen Autokonsums 751.2.6.1. Sozialistische Produkte am Fließband 771.2.6.2. Sozialistische Produkte im Alltag 831.2.7. Schlussfolgerung 951.3. Ungleichheiten zwischen Ost und West 971.3.1. Sovjetskij amerikanizm' 1001.3.2. Entspannung unter Chru¨?ev und Bre¸nev 1031.3.3. Walter Ulbricht: Überholen, ohne einzuholen 1071.3.4. Streit unter Brüdern 1111.3.5. Rumänien dem Westen und Osten hinterher 1151.3.6. Automobilausstellungen im Kalten Krieg 1201.3.6.1. EXPO 1958 in Brüssel 1231.3.6.2. "Sputniki auf Rädern": Autos auf der Leipziger Messe 1261.3.6.3. Der Osten stellt sich in Frankfurt und Genf vor 1311.3.8. Schlussfolgerung 1351.4. Trabant, Lada und Dacia als sozialistische Volkswagen 1371.4.1. Der Trabant: Plastikauto und Stolz der DDR 1381.4.2. Italienischer Fiat 124 - sowjetischer ´iguli - internationaler Lada 1411.4.3. Der rumänische Dacia auf der Überholspur der Geschichte 1481.4.4. Schlussfolgerung 1552. Und endlich fahren 1582.1. Verteilen und verhandeln 1612.1.1. Offizielle Verteilungspläne 1632.1.1.1. Zentren und Peripherien 1662.1.1.2. Die Privilegien der Nomenklatura 1712.1.1.3. Sowjetische Veteranen zwischen Elend und politischer Relevanz 1782.1.1.4. Eine homogene sozialistische Arbeiterschaft? 1832.1.2. Bittschriften und Sonderzuteilungen 1882.1.2.1. Organisationen 1892.1.2.2. Einzelne Bürger 1922.1.3. Schleichwege und Schlupflöcher im Staatssozialismus 1972.1.3.1. Lotteriescheine, Valuta und Westautos 1982.1.3.2. Autobasteln 2032.1.3.3. Gebrauchtwagen 2072.1.4. Schlussfolgerung 2112.2. Autoalltag 2132.2.1. Ein großer Tag: Der Kauf eines Autos unter sozialistischen Bedingungen 2152.2.2. Autonutzung 2232.2.2.1. Die Erfahrung des alltäglichen Mangels 2242.2.2.2. Urlaub und Freizeit 2342.2.2.3. Informeller Austausch rund um das Auto 2412.2.3. Automobile Gesellschaften 2602.2.3.1. Distinktion 2602.2.3.1. Fußgänger gegen Autofahrer 2692.2.4. Schlussfolgerung 273Schlussbemerkungen 276Quellen und Literatur 2821. Quellen 282Archivmaterial 282Sowjetunion: Rossijskij Gosudarstvennyj Archiv Novej¨ej Istorii (RGANI) 282Rossijskij Gosudarstvennyj Archiv Ekonomiki (RGAE) 282Rumänien: Archivele Na?ionale Istorice Centrale (ANIC) 282Archivele Na?ionale Istorice Bra?ov 282DDR: Bundesarchiv Berlin (BarchB) 282Publizierte Quellen 282Zeitungs- und Zeitschriftenartikel 284Belletristik 288Filme 288Interviews 2882. Literatur 289

Schlagzeile

Beiträge zur Historischen Verkehrsforschung des Deutschen Museums

Informationen zu E-Books

Individuelle Erläuterung zu E-Books

Weitere Artikel vom Autor "Gatejel, Luminita"

Lieferbar in ca. 10-14 Arbeitstagen

CHF 59,00
inkl. MwSt.
UVP
Alle Artikel anzeigen