Beschreibung
Die Thyssens sind mit den Krupps die Stahlbarone Deutschlands. Seit 150 Jahren schreiben sie deutsche Geschichte. Sie waren Schwungrad der industriellen Revolution, schmiedeten Waffen für Kaiser und Nazis und setzten das Wirtschaftswunder unter Dampf. Doch mehr noch als andere Unternehmerfamilien mussten sie erfahren, dass Geld allein nicht glücklich macht. In den 90er Jahren gab die Familie die Beteiligung an der Firma auf. Durch Erbstreitigkeiten und eine beachtliche Kunstsammlung macht sie jedoch nach wie vor Schlagzeilen. Thomas Rother bringt Licht in den Mythos aus Mühlheim.
Autorenportrait
Thomas Rother, jahrzehntelang Redakteur bei der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, lebt als Schriftsteller und bildender Künstler in Essen. Für seine künstlerische und schriftstellerische Arbeit erhielt er zahlreiche Preise und Auszeichnungen, unter anderem den Luise-Rinser-Preis 1981 und den Kulturpreis der Evangelischen Kirche des Rheinlandes für seine Ausstellung »OST« zum Thema Zwangsarbeit im Nationalsozialismus. 2000 erschien im Campus Verlag seine Familienbiografie Die Krupps. Durch fünf Generationen Stahl.
Leseprobe
So unterschiedlich die Leben der verschiedenen Thyssens auch sind, es gibt eine verbindende Klammer für alle ihre Handlungen: das Verständnis von Geld und Arbeit. Zwar hat August Thyssen in 40 Jahren eines der größten deutschen Vermögen erarbeitet, das 1914 um ein Drittel höher als das der reichsten Deutschen, Bertha Krupp, geschätzt wird. Doch ein Thyssen-Analyst erkennt wohl richtig: August Thyssen hat Achtung vor dem Geld als Macht-, Produktions- und Freiheitsfaktor genossen hat er es nicht, also auch nicht verschwendet. August Thyssen war kein Dagobert Duck, der sich am Reichtum berauscht, war auch nicht der Typ des reichen Onkels aus Amerika und auch keiner, der immer reicher des Reichtums wegen werden wollte. Geld war für ihn dazu da, ins Werk gesteckt zu werden, damit es wächst, immer größer und immer mächtiger wird.Was ihn umtreibt, in panischer Besessenheit Werke zu gründen und andere hinzuzukaufen, riskant zu borgen, unablässig zu bauen und zu expandieren, stets zu investieren (und das alles immer und immer wieder), ist kaum zu ergründen. Der kleine unscheinbare Kleinbürger, der mit einer abgeschabten Reisetasche von der Straßenbahn zur Fabrik geht, ist wenig später der Alleinherrscher seines Reiches, der wie ein »aufgebäumter Bussard mit flaumigem Schädel« und kaltem Stahlblick seinen Direktoren konzentriert gegenüber sitzt und kurze und treffende Rechenschaft verlangt. Aber auch denen kann er, wie anderen auch, als großer Schweiger geduldig zuhören. Herrscher? Das bezeichnet nur seine Macht. Ein Stahlaristokrat wie Krupp mit Reitgerte und fürstlichem Gehabe auch das ist er nicht. Im Gegensatz zu den übrigen Industriellen seiner Zeit tritt der kantige Einzelgänger nicht ins Rampenlicht.Sicher, am Ende seines Lebens besitzt er ein Schloss, doch auch Schloss Landsberg hat durch Gesellschaften dem Unternehmenszweck zu dienen. Thyssen ein kultivierter Mann? Eigentlich kaum, wohl auch kein Bildungs- und Genussmensch. Die Wertschätzung, besser: die Liebe zum Bildhauer Auguste Rodin und dessen weißen Marmorskulpturen lässt sich schließlich auch ins Bild des ruhelosen Mehrers deutscher Produktionsgüter fügen. Wie Thyssen hält auch Rodin »gute Arbeit« für den Schlüssel zum Erfülltsein. Und das Soziale, wie hält ers damit? »Mein Werk ist in sich selbst sozial, je mehr ich baue und verdiene, umso besser ergeht es meinen Arbeitern.« Seine Kinder, Schwiegertöchter, Enkelkinder und Neffen entwickeln einen anderen sozialen Sinn, stiften unermessliche Summen, geben ihres Urahnes und ihren Kunstbesitz für jedermann frei.Für heutige Betriebs- und Volkswirtschaftsstudenten ist der Begriff vom Vertikalunternehmen selbstverständlich. Als August Thyssen seinen Gemischtkonzern Ende des 19. Jahrhunderts aufbaut, von der Kohle über die Kokerei zum Hochofen und über das Walzwerk bis zur Fabrik für Maschinenbau, also vertikal vom Rohstoff bis zum Fertigprodukt, ist es eine Revolution, mit der er auch die Landschaft am Niederrhein von Duisburg bis Dinslaken mitformte. Die Großindustrie von damals beschränkt sich traditionell auf ein Gebiet, auf ihr Fach. So wird der kleine Mann zum kühnen Riesen, zum wirtschaftlichen Vorbild für Tausende.August Thyssen wird aber auch zum Gründer einer Dynastie, die für weitaus mehr als nur Stahl und Kohle stehen wird. Und hier liegt vielleicht auch der Unterschied zu den anderen großen Familien aus dem Ruhrgebiet. Die Thyssens haben über mehrere Generationen hinweg nicht nur deutsche Wirtschaftsgeschichte geschrieben. Vielmehr haben insbesondere drei herausragende Protagonisten der Thyssen-Saga ihre Zeit ebenso unverwechselbar und umfassend bestimmt, wie die Epochen sie individuell geprägt haben. Und so setzt auch dieses Buch drei biografische und zeithistorische Schwerpunkte: Der erste gilt August Thyssen und mit ihm der deutschen Industrialisierung und dem Erwachen des Ruhr-Kapitalismus. Der zweite Teil handelt von Sohn Fritz und dessen tragischer Verstrickung mit den Nationalsozialisten. Aber auch Ehefrau Amélies Hinüberrettung des Familienerbes in die neue Bundesrepublik spielt eine prominente Rolle. Im dritten Teil überwindet der Name Thyssen deutsche Grenzen und wird ganz im Sinne der anbrechenden Globalisierung zur Weltmarke. Allerdings nicht durch Stahl, sondern mit Kunst: Enkel Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza, Sohn des Fritz-Bruders Heinrich Baron von Thyssen-Bornemisza, prägt durch seine Sammlerleidenschaft den letzten Teil der Familiengeschichte.Was bleibt von dieser Größe ohne riesige Walzstraßen, ohne unendliche Zahlenbilanzen, ohne Ländereien und ohne Werke, ohne Glanz und Pracht milliardenschwerer Kunst? Nur ein legendärer Name? Nur eine Geschichte?
Schlagzeile
Familientragödie an Rhein und Ruhr
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