Die Studie bemüht sich um eine genaue Rekonstruktion des ästhetischen Denkens Goethes von den frühesten Äußerungen bis zu den Ergebnissen der italienischen Reise. Dieses Untersuchungsgebiet ist insbesondere deshalb von großem transdisziplinärem Interesse, als sich hier schon sehr früh Tendenzen zur Autonomisierung der Künste und zur theoretischen Reflexion dieses Prozesses abzeichnen. Darüber hinaus stellen die lakonischen, genialisch-rhapsodischen oder manifestartig verknappten Essays Goethes auch in formaler Hinsicht ein Spezifikum dar: Sie thematisieren und reflektieren ihren theoretischen Gehalt selbst in ihrer textuellen Performanz. In methodischer Anlehnung an Pierre Bourdieus Theorie des literarischen Feldes unternimmt der Verfasser eingängige intertextuelle Mikroanalysen paradigmatischer und programmatischer theoretischer Schriften (»Zum Schäkespears Tag«, »Von deutscher Baukunst«, »Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Styl«) und berücksichtigt dabei erstmals auf systematische Weise sowohl die unmittelbaren Entstehungsumstände und künstlerischen Bezugspunkte als auch v.a. die epistemologischen und ideengeschichtlichen Voraussetzungen im übernationalen europäischen Kontext. Ein Ergebnis der Studie ist die genauere Differenzierung zwischen Kontinuitäten und Diskontinuitäten im ästhetischen Denken Goethes auf epistemologischem und auf kognitivem Niveau. Des weiteren wird die kultursoziologische und diskurshistorische Funktionalität zahlreicher Phänomene in den Blick genommen. Die Spezifik wie auch die Exemplarität des (häufig geringgeschätzten) nicht-systematischen "Ästhetikers" Goethe können somit vor einem erweiterten Horizont neu diskutiert werden.