Beschreibung
Es gibt nicht viele Fachtexte, die über Generationen hinweg fast jeder Germanist kennt - und kaum einen, der bis heute solch gegensätzliche Reaktionen hervorruft wie Emil Staigers Die Kunst der Interpretation (1955). Dieses Buch hat die Wahrnehmung einer ganzen Epoche der Literaturwissenschaft geprägt. Keine Publikation zur Geschichte des Faches, kein Methodenseminar, in dem Staigers Studie nicht als wichtigstes Beispiel für die sog. werkimmanente Interpretation genannt würde. Die Kunst der Interpretation ist ein Schlagwort, das in den Feuilletons bis heute gerne verwendet wird, in der Regel jedoch mit ironischem Unterton. Berühmt und umstritten zugleich - die Wirkungsgeschichte des Buches könnte widersprüchlicher kaum sein. Das 50jährige Publikationsjubiläum ist Anlass, der Frage nachzugehen, welche Bedeutung Staigers Ansatz noch oder wieder zukommt. Dabei geht es ebenso wenig um einen einseitigen Wiederaufwertungsversuch wie um die Fortführung der ritualisierten StaigerSchelte. Literaturwissenschaftler und Literaturdidaktiker treten in den lange vernachlässigten Dialog; literaturtheoretische und fachgeschichtliche Perspektiven werden ergänzt durch detaillierte Textinterpretationen. Zugleich lässt das Buch die Sichtweisen mehrerer Generationen deutlich werden von Literaturwissenschaftlern, die noch bei Staiger studiert bzw. promoviert haben bis hin zu Vertreter(inne)n der jüngeren Germanistengeneration.
Inhalt
Aus dem Inhalt: Joachim Rickes/Volker Ladenthin/Michael Baum: 1955-2005: Emil Staiger und Die «Kunst der Interpretation» heute. Vorwort – Karl Pestalozzi: Einzelinterpretation und literaturwissenschaftliche Synthese bei Emil Staiger – Bernhard Böschenstein: Zwischen Hingabe und Zurechtweisung. Der Interpret Emil Staiger im Gespräch mit vier Dichtern – Jost Hermand: Allmähliche Entzauberung. Emil Staiger und die Marburger Junggermanisten der frühen Adenauer-Ära – Claudia Stockinger: ‘Lektüre’? ‘Stil’? Zur Aktualität der Werkimmanenz – Andrea Polaschegg: Tigersprünge in den hermeneutischen Zirkel oder Gedichte nicht verstehen. Gattungspoetische Überlegungen (lange) nach Emil Staiger – Steffen Martus: Emil Staiger und die Emotionsgeschichte der Philologie – Volker Ladenthin: Legitimation von Wissenschaft. Emil Staigers Aufsatz «Die Kunst der Interpretation» als Paradigma – Peter Rusterholz: Die Kunst der Interpretation und die Künste der Dekonstruktion – Andreas Isenschmid: Emil Staiger und Peter Szondi – Wolfgang Bassler: «Verstehen und Interpretieren» oder «Verstehen als Grundlage der Interpretation». Ideen über Diltheys Begriff des Verstehens – Joachim Rickes: Von Emil Staiger zu Günter Grass. Zur Aktualität der «Kunst der Interpretation»: «Das Treffen in Telgte» – Michael Kämper-van den Boogaart: «So weht es uns an aus dem siebzehnten Satz.» Staigers didaktische Lektüre von Kleists «Das Bettelweib von Locarno» – Michael Baum: Storms «Meeresstrand» und die Grenzen der Interpretation – Kaspar H. Spinner: «Begreifen, was uns ergreift.» Eine sinnvolle Maxime für den Literaturunterricht? Inhaltsverzeichnis