Beschreibung
Politik braucht Fakten. Für das zuverlässige Navigieren in der Bildungspolitik ist der geübte Blick auf Daten, Tabellen und Zahlen nach wie vor von hohem Wert. Die Studie widmet sich der Genese und dem Ausbau von Datenerhebungspraktiken in städtischen Schulen der Schweiz seit dem späten 19. Jahrhundert. Statistik wird als Mittel der politischen Kommunikation untersucht, das nicht nur durch die erhobenen Resultate, sondern durch die Praktiken der Erhebung, der Dissemination und Verwendung von Daten als machtvolle Einflussnahme in politischen Aushandlungsprozessen zu verstehen ist. Die Praktiken der Datenerhebung veränderten die Vorstellungen von der Schule, und sie blieben dabei nicht unberührt vom pädagogischen Kontext, in dem sie initiiert, durchgeführt und verwendet wurden.
Autorenportrait
Thomas Ruoss studierte Geschichte und Pädagogik an der Universität Zürich. Derzeit arbeitet er zur Schulsystementwicklung in der Schweiz und zur Geschichte der Bildungsstatistik als Instrument der bildungspolitischen Kommunikation.
Inhalt
1. Nicht ausgelöste Verwaltungsstatistik: eine Forschungsperspektive auf den Wandel von Politik und Schule
2. Etablierung von Statistik und Schulstatistik im 19. Jahrhundert: zwischen internationalen Entwicklungen und lokalen Praktiken
2.1. Statistik in der Entwicklung von Staat, Verwaltung und Wissenschaft
2.2. Amtliche Statistik in der Schweiz im langen 19. Jahrhundert
2.3. Schulstatistik als Teil der Bildungsgeschichte
3. Statistik in der Zentralisierung städtischer Schulwesen
3.1. Verwaltungsreform, Schulexpansion und der Aufschwung der Datenproduktion: Zürich nach der Eingemeindung von 1893
3.1.1. Verwaltung und Planung
3.1.2. Finanzierungskrise und Reformversuche
3.1.3. Amtliche Statistik und Schülerprognostik
3.2. Schulreform auf kleiner Flamme. Datenproduktion in Winterthur im Kontext der Eingemeindung von 1922
3.2.1. Datenproduktion durch Schulbehörden und Lehrerschaft
3.2.2. Stabilität trotz Verwaltungsreform
3.3. Eingemeindung im Kontext von Krieg und Krise. Gross-St.-Gallen zwischen Arkanwissen und Reformpragmatismus
3.3.1. Statistik und die Planung der «Stadtverschmelzung»
3.3.2. Eingemeindung und der Ausgleich der Klassengrössen
3.3.3. Politische Sprengkraft «konfidentieller» Daten
3.4. Schulreform durch Statistikproduktion – Statistikexpansion durch Verwaltungsreform: eine Zwischenbilanz
4. Datenerhebungspraktiken und die Beschulung von Minderheiten
4.1. Bildung als Katalysator der «Italienerfrage»
4.1.1. Kategorisierungen von Minderheiten
4.1.2. Beschulung italienischer Kinder
4.1.3. «Italienerklassen» in Zürich zwischen Ökonomie und Unterricht
4.1.4. «Italiener»- und «Fremdenklassen» in St. Gallen
4.2. Konfession in Datenerhebungen und Schulpolitik
4.2.1. Katholiken zählen – Katholiken problematisieren
4.2.2. Juden zählen – Debatte um religiöse Praktiken und obligatorischen Unterricht
4.2.3. Statistik und die Säkularisierung konfessioneller Schulgemeinden
4.3. Minderheiten zählen – eine Zwischenbilanz
5. Jenseits amtlicher Kontrolle? Statistische Praktiken zwischen privater und öffentlicher Initiative
5.1. Schule als Ort sozialpolitischer Datengenese: Gemeinnützigkeit und Schulstatistik
5.1.1. Mit Statistik gegen Kinderarbeit: Offizialisierung von Datenerhebungen
5.1.2. Von der Ausbeutung zur Ablenkung: Statistik und die Pädagogisierung von Arbeit
5.1.3. Grenzen der Opportunität: Widerstand gegen sozialpolitische Datenproduktion
5.1.4. Zwischen Jugendschutz und der richtigen Zuordnung: Berufswahlstatistik und Berufsberatung
5.1.5. Gemeinnützigkeit, Schulstatistik und die Pädagogisierung sozialer Probleme
5.2. Lehrerverbände, Statistik und Besoldungspolitik: zwischen Konflikt und Konsens
5.2.1. Besoldungsstatistik als gewerkschaftliches Instrument
5.2.2. Staatstragende Meinungsbildung durch Statistik
5.2.3. Zwischen Kooperation und Agitation
5.2.4. Nationale Besoldungsstatistik als prekäres Projekt
5.2.5. Parastaatliche Statistik: Heterogenität der Statistik durch Heterogenität der Verbände
6. Lokale Statistik als politische Praxis – wie Datenerhebungen Schule verändern