Beschreibung
Um 1980 etablierten Umweltpolitiker und Sozialwissenschaftler das Konzept der »Ökologischen Modernisierung«. Sie beabsichtigten damit, Umweltschutz und Wirtschaftswachstum miteinander zu vereinbaren. Rund 30 Jahre später widmen sich die Autoren dieses Bandes den gesellschaftspolitischen Umständen, die zur Etablierung des Konzepts beitrugen, dessen Weiterentwicklung in Umweltpolitik und Sozialwissenschaften sowie der Kritik, die daran geübt wird. Damit knüpft der Band an aktuelle Diskussionen wie jener über eine »Green Economy« an und verleiht ihnen historische Tiefenschärfe.
Autorenportrait
Martin Bemmann, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar der Universität Freiburg.Birgit Metzger, Dipl.-Kultwiss., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Institut der Universität des Saarlandes.Roderich von Detten, Dr. rer. nat., ist Lehrstuhlvertreter der Professur für Forstökonomie und Forstplanung der Universität Freiburg.
Leseprobe
EinleitungMartin Bemmann, Birgit Metzger und Roderich von DettenIm April 2014 veröffentlichte das Umweltbundesamt eine knapp 400 Seiten umfassende Studie über die Möglichkeiten, Deutschlands Energieversorgung bis 2050 "treibhausgasneutral" zu gestalten. Den Autoren zufolge sei es möglich, "nicht nur die Stromversorgung, sondern auch den Kraft- und Brennstoffbedarf mit erneuerbaren Energien zu decken". Die Energieversorgung müsse "vollständig auf erneuerbare Energien umgestellt" und "Effizienzpotenziale [müssten] weitgehend ausgeschöpft" werden. Die "Emissionen aus dem Energiesektor" würden dadurch "auf nahezu Null" zurückgehen "und auch die anderen Sektoren [könnten] ihre Emissionen wesentlich mindern". Der Schlüssel, um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, sei die Nutzung von erneuerbar erzeugtem Strom zur Gewinnung von Wasserstoff und Kohlenwasserstoffen, die in gasförmiger und flüssiger Form weiterverwendet werden könnten. Dafür seien zweifellos "Technikinnovationen und die Weiterentwicklung heutiger Technik notwendig". Das "faszinierende an dieser Utopie", so die Süddeutsche Zeitung, sei, dass sich dieses treibhausneutrale Deutschland des Jahres 2050 "gar nicht so sehr von der Gegenwart" unterscheiden würde. Fast alles könne so weiter laufen wie bisher, nur eben klimaneutral. Sowohl die Autoren der Studie als auch die beiden Journalisten konzedierten, dass dieses Szenario tatsächlich eine Utopie und damit wenig wahrscheinlich sei, zumal Fragen zu dessen ökonomischer und politischer Umsetzbarkeit ebenso aus der Untersuchung ausgeklammert blieben wie die grundlegende Frage nach der Notwendigkeit veränderter Lebens- und Konsummuster.Die Studie des Umweltbundesamts kann prototypisch als Ausdruck eines Programms gewertet werden, das Sozialwissenschaftler, Umweltschützer und Politikerinnen um 1980 unter der Bezeichnung ökologische Modernisierung formulierten. Dieses Programm sah - stark vereinfacht - vor, Umweltprobleme innerhalb der bestehenden gesellschaftlichen und politischen Strukturen mit Strategien der industriellen, marktwirtschaftlich geprägten Moderne anzugehen, also mit Technikinnovationen und marktförmigen Anreizen für deren flächendeckende Etablierung. Von diesem normativen Konzept ausgehend, begannen einige Sozialwissenschaftler in den 1990er Jahren zudem, deskriptive und analytische Methoden für sozialwissenschaftliche Untersuchungen zu entwickeln, die helfen sollten, den angedachten und in Ansätzen bereits beobachteten "sozial-ökologischen Wandel" kapitalistischer, industrialisierter Gesellschaften der Gegenwart besser beschreiben und erklären zu können.Die ökologische Modernisierung entwickelte sich in den vergangenen drei Jahrzehnten zu einem international erfolgreichen Programm, in politisch-normativer, in deskriptiver und in analytischer Hinsicht. Sie fand ihren Niederschlag in konkreten politischen Maßnahmen wie in sozialwissenschaftlichen Studien und wurde Gegenstand von Kritik und Kontroversen. Symptomatisch für den internationalen Siegeszug des Konzepts stehen sowohl die Beschlüsse der UN-Umweltkonferenz Rio+20 vom Juni 2012, die auf globaler Ebene die Etablierung einer "Green Economy" forderte, als auch das Erscheinen des Ecological Modernisation Readers im Jahr 2009, der auf mehr als 500 Seiten eine Bilanz von 30 Jahren sozialwissenschaftlicher Forschung im Zeichen ökologischer Modernisierung zog und Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln versuchte.In Quellen und Sekundärliteratur gleichermaßen stieß das Team des Freiburger Forschungsprojekts Und ewig sterben die Wälder. Das deutsche "Waldsterben" im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik während der Auseinandersetzung mit der Umweltpolitik in Deutschland und Frankreich seit den 1980er Jahren immer wieder auf alle drei Dimensionen der ökologischen Modernisierung. Die zunehmende Beschäftigung damit hatte zur Folge, dass das Herausgeberteam des vorliegenden Bandes zusammen mit Kollegen des Freiburger Historischen Seminars und des Freiburger Instituts für Forstökonomie eine Tagung zum Konzept der ökologischen Modernisierung ausrichteten, an der Soziologinnen, Politologen, Historiker und Naturwissenschaftlerinnen teilnahmen. Ziel war sowohl eine Bestandsaufnahme derzeitiger Diskussionen zu den verschiedenen Dimensionen ökologischer Modernisierung samt der daran geübten Kritik, als auch der Versuch, deren Entstehung und Entwicklung in den Kontext der jüngsten Zeitgeschichte einzuordnen und somit Grundlagen für eine fällige Historisierung des Konzepts ökologischer Modernisierung zu legen.Die Tagung fand Ende Februar 2013 in Freiburg unter dem Titel Leben wir in einer ökologisch modernisierten Gesellschaft? statt. Die dort gehaltenen Vorträge sowie die darauf folgenden intensiven Diskussionen bilden die Grundlage für die Beiträge des vorliegenden Bandes. Sie adressieren vor allem drei Fragekomplexe, die im Folgenden skizziert werden. Abschließend werden die einzelnen Texte kurz zusammengefasst.Was meint ökologische Modernisierung?Mit dem Begriff "ökologische Modernisierung" verhält es sich ähnlich wie mit dem Begriff "Nachhaltige Entwicklung", mit welchem er in vielerlei Hinsicht verbunden ist und der oft auch synonym verwendet wird: Die Selbstverständlichkeit, mit der Umweltpolitiker sowie Sozial-, Natur- und Geisteswissenschaftlerinnen ihn inzwischen verwenden, steht - sicherlich nicht zufällig - in umgekehrtem Verhältnis zur Klarheit und zur Eindeutigkeit dessen, was er jeweils bezeichnen soll. Dass die ökologische Modernisierung jedoch mehr sei als ein austauschbarer Begriff, eine rhetorische Formel oder ein Sprachspiel, wird von Anhängern wie Kritikern dieses Konzepts gleichermaßen betont. Allerdings ist nicht leicht zu bestimmen, in welcher Weise der Begriff jeweils verwendet wird: als normatives, als deskriptives oder als analytisches Konzept. Der schillernde Charakter des Begriffs lässt sich auf die gleichermaßen uneindeutige Verwendung seiner Bestandteile "Modernisierung" und "Ökologie" zurückführen.Es wäre vermessen, an dieser Stelle eine Geschichte beider Begriffe und der dahinter stehenden Ideen anzubieten. Dennoch soll skizziert werden, welche der vielen Bedeutungen, die ihnen zugeschrieben werden, aus unserer Sicht den Erfolg des Konzepts der ökologischen Modernisierung erklären helfen.Der Begriff "Modernisierung" ist aus Debatten, die in den vergangenen Jahrzehnten in Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Öffentlichkeit geführt wurden, nicht wegzudenken. Mit dem (technologischen) Optimismus, den er transportiert, und der Assoziation gesellschaftlichen Fortschritts wird er meist als uneingeschränkt positiver Leitbegriff verwendet und verstanden, öffnet Türen und ist dabei programmatisch nahezu universell anwendbar. Anders als der tendenziell statische Epochenbegriff "Moderne" bezieht sich "Modernisierung" auf dynamische Prozesse in allen Bereichen menschlichen Zusammenlebens, die etwas aus einem alten in einen neuen, verbesserten Zustand versetzen. Gleichzeitig lässt er die Konturen eines angestrebten Endzustands bewusst offen, so dass der Prozess der Modernisierung nie an ein Ende kommen kann. In einer normativen Variante enthält der Begriff zudem ein affirmatives, aktives, mitunter imperatives Element und setzt mit der "Aufforderung zur Geistesgegenwart und Zeitgenossenschaft" auf ein zustimmendes Bekenntnis. Die Rede von der Modernisierung soll in den meisten Fällen mobilisieren - ohne dass unbedingt klar ist, was damit genau gemeint ist.Im Falle von "Ökologie"/"ökologisch" handelt es sich um ein ähnlich schillerndes, oft rhetorisch aufgeladenes Begriffspaar, das in den 1960er und 1970er Jahren aus dem naturwissenschaftlichen Kontext heraustrat und seither in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ubiquitär verwendet wird. Ebenfalls ausgestattet mit einer Vielzahl positiver Konnotationen wird der Ökologie-Begriff gern in der politischen Argumentation genutzt. Auch in der Alltagssprache wird er meist recht unkonkret im Sinne von umweltverträglich, sauber, rücksichtsvoll, harmonisch, nachhaltig verwendet. Unter seiner Oberfläche lässt sich deutlich ein Doppelcharakter erkennen: Seiner naturwissenschaftlichen Herkunft gemäß beinhaltet der Begriff auf der einen Seite Vorstellungen von Wissenschaftlichkeit, Technizität und Modellierbarkeit. Daran lässt sich die Übertragung von physikalisch-technischen Modellen und Sätzen aus den Systemwissenschaften, aus Physik und Kybernetik auf Ökosysteme erkennen. Auf der anderen Seite trägt der Begriff Bedeutungselemente von Vernetzung, Integration, Bewahrung von Zusammenhängen oder Ganzheitlichkeit in sich. In der Konsequenz wurde die Ökologie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, so Ludwig Trepl, "selbst in die Diskussion um Zweck und Ziel einbezogen" und von einer Naturwissenschaft klassischen Stils mit objektivem Erkenntnisanspruch zu einer Wissenschaft mit normativen und strategischen Elementen, zu einem "Entwicklungskonzept für die Natur". Vorstellungen von einer ganzheitlichen, komplexen Natur wurden dabei mit der Idee verschmolzen, diese rational erklären und beherrschen zu können. Mit Recht wies daher Trepl darauf hin, "Ökologie" oder "ökologische Wissenschaft" könne zuvorderst als "Idee" oder als Paradigma verstanden werden, das mechanistisches Denken ersetzt und den Rang einer neuen Leitwissenschaft erhalten habe. Zusehends sei sie in immer mehr Bereiche der Gesellschaft einbezogen worden.
Inhalt
Inhalt Einleitung Martin Bemmann/Birgit Metzger/Roderich von Detten 7 Das Konzept der ökologischen Modernisierung: Bestandsaufnahme und Kritik Ecological Modernisation Theory: Where Do We Stand? Arthur P. J. Mol/Gert Spaargaren/David A. Sonnenfeld 35 Ökologische oder reflexive Modernisierung? Modernisierungstheoretische Implikationen eines ökologischen Reformprogramms Karl-Werner Brand 67 Das Hegemonieprojekt der ökologischen Modernisierung und antagonistische Artikulationen in der internationalen Klimapolitik Timmo Krüger 97 Ursprung, Möglichkeiten und Grenzen des Konzepts der ökologischen Modernisierung - Kommentar Thomas Zeller 127 Ökologische Modernisierung zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Green Economy und Konturen eines grünen Kapitalismus Ulrich Brand/Markus Wissen 135 Öko-effiziente technologische Innovationen - Der Ausweg aus der Öko-Krise? Kritische Anmerkungen zum Geltungsanspruch des Konzepts"Ökologische Modernisierung" Frank Adler 161 Ökologische Modernisierung und ökonomische Wachstumslogik - Kommentar Stephan Wolf 181 Ökologische Modernisierung in der Praxis: Fallstudien Wissenschaftsbasierte Politik im Zeichen ökologischer Modernisierung: Der Weltklimarat als Pionier Silke Beck 201 Ökologische Modernisierung vor 1980? Zum historiographischen Erklärungspotenzial eines sozialwissenschaftlichen Konzepts Martin Bemmann 233 Modernisierungstheorie, Ökologie und Geschichte - Kommentar Rüdiger Graf 251 Shades of Green: Ökologische Modernisierung im deutsch-französischen Vergleich (1970-1990) Birgit Metzger/Laurent Schmit 257 Ökologische Modernisierung in der DDR und der Bundesrepublik Deutschland: Parallelen in der Entwicklung von Luftreinhaltung und Lärmschutz Tobias Huff 287 Ökologische Modernisierung und die Methode des Vergleichs - Kommentar Thomas Raithel 315 Autorinnen und Autoren 323
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